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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt
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ersten herben Rückschlag: Frankreich betrieb im EWG -Ministerrat die Politik des leeren Stuhls und trat am 1 . Juli 1966 , aus Protest gegen die amerikanische Hegemonie in Europa, aus dem NATO -Rat aus. Auf seiner ersten Auslandsreise im Dezember desselben Jahres versuchte der Außenminister der Großen Koalition, Willy Brandt, die aus diesen Entscheidungen de Gaulles entstehenden Spannungen zu entschärfen und dem deutsch-französischen Vertrag von 1963 »mehr politisches Leben einzuhauchen« (Brandt). Im Januar 1967 besuchten Brandt und Bundeskanzler Kiesinger de Gaulle gemeinsam. Der – bis zum Tod Fritz Erlers im Februar 1967 kommissarische – Fraktionsvorsitzende der SPD Helmut Schmidt nahm die Aufnahme der Konsultationen zum Anlass, im Bundestag die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Frankreich zu unterstreichen. Dabei gehe es nicht nur um die gemeinsame Entwicklung und Produktion von Waffensystemen, sondern auch um den »auf die Dauer unendlich viel wichtigeren Sektor der zivilen Technologie«. Zwar könne niemand ernsthaft erwarten, dass Paris seine nukleare Souveränität preisgebe – solche Hoffnungen müssten »einstweilen in die Tiefkühltruhe gestellt werden« –, aber »wenn es eines Tages die Vereinigten Staaten von Europa geben wird«, werde dieses Europa wohl auch über eine »abgerundete gemeinsame Verteidigung« verfügen.
    H err Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt die Erklärung des Bundeskanzlers und freut sich insbesondere, dass es nach einer längeren Zeit der Missstimmung zwischen beiden Regierungen gelungen ist, zu einem offenen Gespräch zu kommen. Niemand in diesem Haus hat von diesem ersten Gespräch in Paris spektakuläre Ergebnisse erwarten können. Dazu ist nicht nur die Vorbereitungszeit ein wenig kurz gewesen, sondern dafür sind auch – das muss hier offen ausgesprochen werden – zu viele Probleme zwischen beiden Regierungen ein wenig zu kontrovers. Aber ich meine, wir sollten besonders hoch einschätzen, dass von beiden Partnern klar gesagt worden ist, wo Übereinstimmungen in der Beurteilung der Lage und in den Möglichkeiten künftigen gemeinsamen Handelns gegeben sind, und ebenso klar gesagt wurde, wo Divergenzen bestehen.
    Wir wissen, dass besonders der französische Präsident diese offene Form der Konsultation schätzt, und vielleicht hat es gerade an der bisherigen Atmosphäre, die manches im Unklaren ließ, gelegen, dass sich so viele Missverständnisse und Misstöne im deutsch-französischen Verhältnis während der letzten Jahre eingeschlichen haben.
    Ich persönlich glaube, dass die außenpolitische strategische Linie der französischen Regierung, des französischen Staatspräsidenten seit Jahren konsequent verlaufen ist, dass man ihr das Attribut der Folgerichtigkeit zuerkennen muss und dass man ihr infolgedessen das Attribut der Berechenbarkeit und der Vorhersehbarkeit nicht versagen darf. Nun spielt einmal das deutsch-französische Verhältnis für unsere deutsche Außenpolitik eine große Rolle. Ich glaube, es war in den vergangenen Jahren ein Fehler, dass wir uns nicht sorgfältig genug auf die vorhersehbare und vorherkalkulierbare Entwicklung der französischen außenpolitischen Linien und auf deren Erfolgschancen eingestellt haben.
    Wir wissen, dass sich die gegenwärtige Bundesregierung der Bedeutung dieser französischen Komponente in unserer Außenpolitik bewusst ist. Wir glauben, dass wir davon ausgehen sollten, dass, wenn nicht etwa der vietnamesische Konflikt weltweite Konsequenzen zeitigen sollte, welche die Situation Europas beeinträchtigen könnten – was ich für recht unwahrscheinlich halte, sondern ich glaube, dass die gegenwärtige Phase der europäischen Entwicklung andauern wird –, die französische Politik sich kontinuierlich und daher für uns im Vorwege erkennbar weiterentwickeln wird.
    Für die deutsche Außenpolitik müssen wir von unseren eigenen Interessen ausgehen, aber auch davon, was die anderen für Interessen haben, was sie denken, was sie zu tun beabsichtigen, und erst aus diesen Komponenten zusammen ergeben sich die Möglichkeiten zur Verwirklichung unserer eigenen politischen Ziele. Couve de Murville [Außenminister Frankreichs] hat kurz vor dem Besuch des Bundeskanzlers und des Außenministers in Paris in einem Interview gesagt, Außenpolitik habe nichts mit Launen und Neigungen zu tun, sie beruhe vielmehr auf den Interessen und auf den Idealen des jeweiligen Landes, und sie
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