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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt
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müsse den jeweiligen Umständen, d.h. vor allem den außenpolitischen Gegebenheiten Rechnung tragen. Sie beruht auf den Interessen und den Idealen! Diese Feststellung aus dem Munde von Couve de Murville gilt für Frankreich, sie gilt ganz genauso für Deutschland und für uns. Je mehr und je klarer wir die Interessen des Partners und unsere eigenen Interessen erkennen und aussprechen, umso deutlicher wird, wo etwa Interessen differieren, d.h. wo man klugerweise die Verschiedenartigkeit der Auffassungen zu respektieren hat. Umso deutlicher wird andererseits auch, wo die Interessen konvergieren, zusammenlaufen oder wo sie aufeinander abgestimmt werden können. Das heißt, umso klarer wird, wo Kooperation möglich, wünschenswert oder gar notwendig ist. Das gilt nicht nur im Verhältnis zu Paris, das gilt ganz genauso im Verhältnis zu London oder zu Washington.
    Frankreich will mit uns gute Beziehungen unterhalten, eine Politik der Zusammenarbeit betreiben. Ebenso erscheint es Frankreich notwendig, mit der Sowjetunion gute Beziehungen zu haben, dem Kalten Krieg ein Ende zu machen, den Eisernen Vorhang aufzulösen, daran zu arbeiten, dass die Beziehungen zwischen den Ländern West- und Osteuropas sich so weit wie möglich normalisieren und fortentwickeln und sich friedlich gestalten. Ungeachtet einer anderen Haltung in der Oder-Neiße-Frage will Frankreich dazu helfen, dass unser deutsches Volk wieder zusammengefügt werde. Dass Frankreich dazu helfen will, ist übrigens nicht so ohne weiteres selbstverständlich. Es ist auch nicht nur ein Lippenbekenntnis der Franzosen oder der französischen Regierung, ich glaube vielmehr, dass es ein Ausfluss der Einschätzung der entscheidenden Rolle der Nation oder der Nationen in der Geschichte ist, wie sie durch den überaus geschichtsbewussten französischen Staatspräsidenten vorgenommen wird. Es ist im übrigen ein Ausfluss der französischen Beurteilung der europäischen Lage und ihrer zukünftigen Entwicklung, wenn sich die Franzosen dafür einsetzen, dass die Deutschen wieder in ein gemeinsames Haus zurückkehren.
    Wir Sozialdemokraten sehen, ähnlich wie es soeben Herr Majonica für seine Fraktion ausgedrückt hat, den besonderen Erfolg der Gespräche des Bundeskanzlers darin, dass die französische Regierung mit uns auf dem Sektor der Osteuropapolitik zusammenarbeiten wird. Wir können hierbei mit Genugtuung feststellen, dass diese Tendenz, zu einem neuen Verhältnis mit den Staaten Osteuropas zu kommen, auch eine gemeinsame Grundtendenz der anderen mit uns verbündeten Regierungen ist, insbesondere der englischen und der amerikanischen Regierung. Wir sind dankbar dafür, dass Frankreich sein gutes Ansehen in Ost- und Südosteuropa einsetzen will und andererseits den Wunsch der Bundesrepublik nach guten Beziehungen auch zu diesen Staaten unterstützen und seiner Verwirklichung zuhelfen will. Die Politik, die wir dort treiben, wird – so nehmen wir an – in Zukunft wohl in engen Konsultationen mit der französischen Regierung verwirklicht werden. Dabei wird wohl auch geprüft werden, auf welchen Gebieten etwa gemeinsame Initiativen gegenüber osteuropäischen Staaten zweckmäßig sind.
    Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Bemühungen der Bundesregierung gerade jetzt in diesen Tagen, mit der Prager Regierung zu einem direkten Gespräch über die Probleme zu kommen, die zwischen beiden Ländern stehen. Ich darf vielleicht als Fußnote hinzufügen, die Bundesregierung sollte sich – so meinen wir – nicht durch Reden und Erklärungen in der Öffentlichkeit unseres Landes oder des anderen Teils oder in anderen Ländern in Osteuropa von diesen Bemühungen abbringen lassen. Wir wissen, dass diese Politik, wenn sie konsequent und mit Würde und mit Festigkeit verfolgt wird, den Interessen des ganzen deutschen Volkes und aller europäischen Völker dient.
    Nun, es deuten sich, wie schon mehrfach betont, natürlich auch Divergenzen an. Der Ausdruck »andeuten« ist eigentlich zu schwach; es sind Divergenzen zwischen Frankreich und uns ganz klar zu erkennen, insbesondere bei der Beurteilung der Fortentwicklung der Europapolitik im engeren Sinne – ich meine, im Sinne der westeuropäischen Integration und ihres Fortschritts – und in der Zusammenarbeit innerhalb ihres Bündnisses. Es hat keinen Zweck, das zu beschönigen, es zu verschweigen. Man muss es nüchtern erkennen. Man sollte es aber nun auch nicht übertreiben. Man sollte positiv festhalten, dass die
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