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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt
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der Kohlenkontingente der zu erwartenden Planungszentrale der Marshall-Länder vorbehalten.
    Bei diesem Vorschlag wird nicht übersehen, dass er nicht ohne Konsequenzen für die Stellung unserer Partei innerhalb der deutschen Öffentlichkeit bleiben wird. Ein solcher Schritt erfordert ausführliche und wiederholte Begründung. Aber gegenüber der Gefahr des Verlustes unserer nationalistischen Mitläufer steht die Möglichkeit, endlich die Periode der eigenen Forderungen an das Ausland zu überwinden und statt ihrer einen positiven Beitrag zur Konsolidierung Europas zu geben. Darüber hinaus werden wir der Zurückdrängung der kapitalistischen Einflüsse aus Amerika dienen und unsere Front auch nach dieser Seite hin klären – und das scheint heute nicht weniger wichtig als der propagandistische Kampf gegen den Bolschewismus.
    Acht Monate später, nach Bekanntgabe des Ruhrstatuts
     
    Die deutsche Reaktion auf die Bekanntgabe des sogenannten Ruhrstatuts erfolgte unverzüglich. Noch ehe die Zeitungsleser in der Welt wirklich einen gründlichen Blick auf den umfangreichen Entwurf dieses Vertrages und auf das begleitende Londoner Schlusskommuniqué geworfen hatten, wurde ihnen bereits berichtet, dass Presse und Politiker in Deutschland – von den Kommunisten bis zu den ganz rechten Splittergruppen – sich einig seien in ihrer demonstrativen Ablehnung. Dabei waren zwar die Argumente in den deutschen Stellungnahmen verschieden, auch gab es Variationen des zugrundeliegenden Impulses: Enttäuschung, Verbitterung, Misstrauen, Empörung, Hass; aber der allgemeine Eindruck war der eines einheitlichen Aufbegehrens.
    Erst einige Tage später begannen sich bei uns auch einige andere Stimmen zu regen – Max Brauers Rede war eine der ersten unter diesen. Aber die Rückwirkungen, die die voreiligen und im Ton oft anmaßend scharfen Erklärungen bereits erzielt hatten, waren und sind nur sehr schwer wieder zu korrigieren. Das gilt für die Rückwirkungen sowohl im Ausland als auch im Inland. Das Ergebnis für die öffentliche Meinung im Inlande war Folgendes: Der Zeitungsleser gewann den Eindruck, dass zwar die deutschen Kommunisten in eklatanter Weise aus der ganzen Sache Kapital zu schlagen suchten, indem sie kräftig auf die nationalistische Kesselpauke schlugen – die Summe der übrigen deutschen Stellungnahmen aber bestimmte ihn bereits in den letzten Tagen des vergangenen Jahres zu der Meinung, dass das Statut tatsächlich nur ein Kompromiss zwischen eigennützigen Ansprüchen der Signatarmächte sei, der ausschließlich auf unserem Rücken zustande gebracht und anschließend notdürftig ein wenig auf europäisch frisiert worden war. Diese Meinung hat sich bei uns weitgehend festgesetzt. Das ist sehr zu bedauern, denn diese Meinung ist falsch und gefährlich. Falsch, weil sie höchstens die Hälfte der Tatsachen erfasst; und gefährlich, weil sie die zukünftigen Möglichkeiten der Zusammenarbeit in Westeuropa beeinträchtigen kann.
    Mit Ruhe und Überlegung durchgelesen führt das Statut zu dem Schluss, dass es gute und schlechte Seiten hat. Zu seinen guten Seiten gehört die weitgehende Befriedigung der französischen Ansprüche auf Gewährleistung von Sicherheit. Hier wird ein Anfang gemacht mit dem Abbau jener Angstvorstellungen, die bisher das schwerwiegendste Hindernis auf dem Wege der europäischen Zusammenarbeit gewesen sind. Zu den Vorzügen gehört weiter die ausdrückliche Verknüpfung der Ruhrbehörde mit der Planung der OEEC (der Pariser Organisation für die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Marshallplan-Staaten). Wenngleich diese Verkoppelung nur an einer Stelle des Dokuments in Erscheinung tritt, so ist doch der Versuch deutlich, durch diesen Einbau der Ruhrbehörde in die gesamteuropäische Planung die Ruhr über den Interessenkreis der Ruhrsignatarmächte hinauszuheben. Für den Erfolg wird es weitgehend darauf ankommen, wie weit die OEEC in Zukunft eine gemeinsame Wirtschaftsplanung durchsetzen und den gegenwärtigen Zustand überwinden kann, in dem sie mehr oder weniger bloß eine gemeinsame Verteilungsstelle für Marshallhilfe darstellt.
    Auch in anderen Punkten wird die Auswirkung des Ruhrstatuts vom allgemeinen Fortschreiten der europäischen Zusammenarbeit abhängen. So können zum Beispiel die weitgehenden Rechte zur Kontrolle der gesamten deutschen Schwerindustrie, statt – wie viele Deutsche heute fürchten – ein bloßes Mittel zur Niederhaltung der deutschen Wirtschaft zu sein, sich als
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