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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss
Autoren: Virginia Kantra
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Hafenbecken und bemalte die Spitzdächer mit gelbem Licht. Die Schatten unter den Autos und zwischen den Gebäuden wurden länger und sammelten sich unter den Dachvorsprüngen wie Spinnennetze. In den Schaufenstern der Läden klebten Zettel, die eine Versammlung der Kommission für Schalentiere, einen Küchenbasar zugunsten des Gemeindehauses und kostenlos abzugebende Kätzchen anpriesen.
    Die verblichene rote Markise von Antonias Ristorante hing über dem Gehsteig und warf ein warmes Glühen über die Tische im Lokal. Leere Tische. Leere Stühle. Ein typischer Mittwochnachmittag in der Nebensaison zwischen dem Mittags- und Abendrun.
    »Hier ist es«, verkündete Lucy.
    Ihr Begleiter sah von der handbeschrifteten Tafel am Eingang zu der Katze, die im Frontfenster ein Nickerchen hielt. »Hier ist Dylan?«
    Lucy öffnete die Tür – er versuchte erst gar nicht, sie ihr aufzuhalten, registrierte sie –, und die Glocke bimmelte. »Normalerweise schon. Er –«
    »Hi, Lu.« Regina richtete sich über der Kühltruhe hinter dem Tresen auf. Ihr dunkles Haar war unter einem kecken roten Kopftuch zurückgebunden, und die weite weiße Schürze spannte sich über ihrem Babybauch. Ihre italienische Herkunft zeigte sich an dem kleinen Goldkreuz um ihren Hals und ihren großen, dunklen, ausdrucksstarken Augen. Ihr Blick wanderte über Lucys Schulter und stellte sich interessiert scharf. »Ein Freund von dir?«
    »Ich habe ihn eben erst kennengelernt.«
    »Oh?« Ihr Interesse wuchs. »Schön. Wenn du schon mal da bist, kannst du auch gleich seine Bestellung aufnehmen. Maggie hat schon Feierabend.«
    Lucy räusperte sich. »Ich glaube nicht –«
    »Maggie?«, wiederholte diese tiefe, kühle Stimme.
    »Maggie Hunter.« Regina schenkte ihm ein Lächeln. »Ich bin Regina Barone.«
    Er neigte den Kopf, um sich seinerseits vorzustellen. »Conn ap Llyr.«
    Regina erstarrte. Ihre Augen verengten sich. »Schöner Anzug.«
    Er sah sie an, wie er die Katze angesehen hatte – als wäre sie eine Kreatur, der man kaum Beachtung schenken müsste. »Schönes Lokal.«
    Regina verschränkte die Arme über dem Bauch. »Uns gefällt es.«
    In Lucys Magen bildete sich ein Knoten. Etwas stimmte nicht. Sie wusste nicht, was es war. Aber man konnte nicht im Haushalt eines Alkoholikers aufwachsen, ohne zu lernen, auf Blicke, Gesten und Stimmen zu achten.
    Die Tür hinter ihnen ging auf. Lucy fuhr zusammen.
    Aber es war nur ihr Bruder Caleb, der noch in seiner Polizeiuniform steckte und kam, um Maggie nach ihrer Schicht abzuholen. Erleichtert entspannte Lucy die Schultern. Der starke, geduldige Caleb, der so standhaft wie eine Eiche war, und das trotz der Beinverletzung, die ihn seit dem Irakkrieg hinken ließ. Sein Haar war noch dunkler als das ihre, während seine Augen die gleiche graugrüne Färbung aufwiesen.
    Sein Lächeln schwand, als er die Anspannung im Raum bemerkte. »Was ist los?«, fragte er ruhig.
    »Dieser Mann« – Regina wies mit dem Kopf auf den Fremden, auf dem ihr Blick weiter ruhte – »ist Conn ap Llyr.«
    Lucy beobachtete, wie die beiden Männer einander von Kopf bis Fuß musterten, wie Zehnjährige auf dem Spielplatz. Nur, dass Zehnjährige niemals ihre Knie zum Schlottern gebracht und ihr die Luft aus der Lunge gepresst hatten, als hätten sie den gesamten Sauerstoff weggeatmet.
    Nur wenige Männer waren groß und mutig genug, auf ihren Bruder herabzusehen. Auf Conn ap Llyr traf offenbar beides zu. »Und Sie sind …?«
    »Caleb Hunter. Chef der örtlichen Polizei.«
    Keiner von beiden streckte dem anderen die Hand hin.
    Lucy ermahnte sich, wieder zu atmen. Sie hatte diesen Fremden hierhergebracht. Es lag in ihrer Verantwortung, die Wogen wieder zu glätten. »Er kennt Dylan, sagt er.«
    Caleb warf über ihre Schulter hinweg Regina einen Blick zu. »Und wo ist Dylan?«
    Regina presste die Lippen zusammen. »Hinten. Mit –«
    »Hol ihn«, befahl Caleb, bevor sie Maggies Namen nennen konnte.
    Regina verschwand ohne einen weiteren Blick durch die Küchentür und ließ Lucy mit den beiden Männern allein. Und ohne eine Ahnung, was eigentlich los war.
    Es war wie eine Szene aus einem alten Western, dachte Lucy. Der Sheriff trat dem Revolverhelden, der gerade in der Stadt aufgetaucht war, im Saloon entgegen. Ihr Herz dröhnte. Sie hatte derartige Auseinandersetzungen noch nie gemocht. Und dennoch wusste sie das Bild, das die beiden boten, zu würdigen: Caleb in seiner zerknitterten Uniform und der breitschultrige Fremde in seinem
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