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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss
Autoren: Virginia Kantra
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Mal trägst oder nicht. Nimm es.«
    Dylan schüttelte den Kopf. »Meine Loyalität gilt nun jemand anderem. Ihnen.«
    »Ihnen«, wiederholte Conn, als würde er das Wort in seinem Mund prüfen.
    Dylan verstärkte den Griff um Reginas Hand. »Meiner Familie.«
    Seiner neuen Familie, dachte Lucy, während sie alldem im Schutz der Sitzecke unbemerkt beiwohnte. So, wie es sein sollte. Aber angesichts von Dylans Geste fühlte sie sich nicht weniger allein.
    »Ja.« Conns blasser Blick suchte Lucy in ihrer Ecke. Wie durchbohrt erbebte sie. Bestürzt. Betroffen, dass er sich an sie erinnert hatte, während ihre Brüder und ihre Freundinnen sie vergessen hatten. »Reden wir über deine Familie.«
    »Jetzt nicht«, widersprach Regina. »Ich muss wieder an die Arbeit. Die Abendschicht beginnt in knapp einer Stunde.«
    »Ich glaube nicht, dass wir Sie bei diesem Gespräch benötigen«, entgegnete Conn kalt.
    »Aber nur, weil Sie mich nicht besonders gut kennen.«
    Lucy verbiss sich ein Lächeln.
    »Das geht uns alle gleichermaßen an«, erwiderte Caleb entschlossen. »Natürlich außer Lucy.«
    Lucys Lächeln erstarb. Natürlich.
    »Caleb.« Margred berührte ihn wieder am Arm und nickte in die Ecke, in der Lucy erstarrt stand.
    Ihre Familie wandte sich zu ihr um; ihre Gesichter zeigten Betroffenheit, Reue, Überraschung in unterschiedlichen Abstufungen.
    Sie versuchte, sich ganz klein zu machen, während sie fühlte, dass der Schleier, in den sie sich gehüllt hatte, so hauchdünn wie ein Spinnennetz wurde.
    Sonderbarerweise war es Conn, der sie erlöste.
    »Dann müssen wir unsere Unterhaltung verschieben, bis Sie alle Zeit haben«, sagte er. »Heute Abend. Bei Ihnen zu Hause.«
    Dylan und Regina wechselten einen Blick.
    »Ma schließt heute Abend ab. Ich kann sie bitten, auf Nick aufzupassen«, sagte Regina. Nick war ihr achtjähriger Sohn.
    Dylan nickte.
    »Wir kommen«, versicherte Caleb. »Acht Uhr?«
    »Acht.« Conns kühler, undurchsichtiger Blick ruhte einen Moment länger auf Lucy.
    Wieder spürte sie dieses gefährliche Zittern, dieses fließende Ziehen tief in ihrem Bauch. Sie starrte zu Boden.
    Geh weg,
dachte sie heftig.
Bitte, geh einfach nur … weg.
    Nach einer langen Weile bimmelte die Glocke über der Tür, die sich hinter Conn schloss.
    Regina ließ geräuschvoll den Atem entweichen. »Okay.«
    Margreds glatte Stirn legte sich in Falten.
    Caleb rieb sich den Nacken. »Hör zu, Lu–«
    »Mir geht’s gut«, versicherte sie ihm hastig.
    Und das stimmte auch. Sobald sie allein war. Sobald sie sich zusammennehmen und die Risse in der Mauer reparieren konnte, die sie um sich und ihre Gefühle errichtet hatte.
    »Bis später dann. Oder … äh … auch nicht«, sagte sie und nahm Kurs auf die Tür.
    »Es geht nicht um dich«, ließ sich Dylan vernehmen. Sie war sich sicher, dass er es nett meinte. »Diese Sache hat nichts mit dir zu tun.«
    Es gelang ihr, irgendwo ein Lächeln aufzutreiben und es auf ihren Mund zu montieren. »Stimmt.«
    Sie wusste nicht, was hier los war. Sie wusste nicht, warum sie ausgeschlossen wurde, sogar von ihrer eigenen Familie. Warum sie
anders
war.
    Ihre Hand zitterte, als sie sie nach der Tür ausstreckte. Sie riss am Griff; sie hatte es eilig, zu entkommen, bevor das Gefühl, das in ihr brodelte, seinen Weg durch die Mauerrisse fand.
    Während sie hügelan der Straße nach Hause folgte, legte sie die Arme um ihr Sweatshirt und sich selbst, um die Fassung zu bewahren und sich gegen den Nebel zu schützen, der von der See herantrieb. Wie Dylan gesagt hatte: Conns Besuch hatte nicht das Geringste mit ihr zu tun.
    Und doch …
    Sie erreichte die Hügelkuppe. Das letzte Licht quoll durch eine Träne am Himmel und tauchte das Wasser im Hafen in Rot und Gold. Die Brise, die ihr Haar zerzauste, trug den Geruch von Salz und die Schreie der Möwen heran. Einen Augenblick lang hob Lucy das Gesicht in den Wind und erlaubte sich zu atmen, zu träumen, zu wünschen.
    Dann lenkte sie ihre Schritte landeinwärts, auf die dunklen Wipfel der Fichten und den weißen Kirchturm zu, der aus den Nebelfetzen emporwuchs. Sie ging nach Hause. Allein.
    Ein Vogel klagte in den Bäumen.
    Ihr Herz hämmerte.
    Ohne den Kopf zu wenden, wusste sie, dass Conn aus dem Nebel an ihre Seite trat.
     

[home]
    2
     
    Sie zuckte nicht zusammen und schrie auch nicht auf.
    Conn vermutete, dass er dankbar dafür sein sollte. Entweder war sie tapfer oder besonders hartgesotten.
Eine Löwin?,
fragte er sich.
Oder ein
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