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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss
Autoren: Virginia Kantra
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und ihn sich selbst überlassen.
    Conn biss die Zähne zusammen. Er wünschte sich – und das nicht zum ersten Mal –, er hätte die Kräfte des alten Königs – oder er könnte seines Vaters Missachtung für alles aufbringen, was über sein eigenes Vergnügen hinausging. Aber er war nicht sein Vater. Er hatte Sanctuary nicht zum ersten Mal seit Jahrhunderten verlassen, um ein Bedürfnis zu befriedigen, das so primitiv wie Lust war.
    »Kommen Sie mit mir«, drängte er.
    Sie fuhr zusammen. »Was?«
    Er würde sich später um ihre Zurückhaltung kümmern. Was er indes nicht tun würde – nun, da er sie gefunden hatte –, war, sie wieder gehen zu lassen. Sowohl seine Magie als auch seine Hormondrüsen waren sich in dieser Sache einig.
    »Zu Ihrem Bruder«, setzte Conn schnell hinzu.
    Das Mädchen schüttelte den Kopf, wobei ihr das farblose Haar wie ein Vorhang ins Gesicht fiel. »Dylan und ich sehen uns schon oft genug, danke.«
    Conns Miene musste seine Überraschung verraten haben, denn sie ergänzte: »Er ist vor einigen Monaten ganz hierhergezogen. Hat er Ihnen das nicht gesagt?«
    »Nein. Wir haben den Kontakt verloren«, erwiderte Conn grimmig. Ein weiterer Grund, der Conn gezwungen hatte, Sanctuary zu verlassen und die Frau aus seinen Visionen aufzuspüren. Dylan war auf Conns Befehl nach World’s End gegangen. Doch Conn wartete schon seit Wochen vergeblich, dass er Bericht erstattete.
    Während sie ihn ebenso verwirrt wie auch ein wenig herausfordernd ansah, steckte sie ihr Haar hinter den Ohren fest. »Aber was machen Sie dann in seinem Anzug hier?«
    Conn erstarrte. Er war es nicht gewöhnt, dass sein Verhalten hinterfragt wurde. Um Erklärungen zu vermeiden, hatte er Kleidung angezogen. Unbequeme, moderne Kleidung, die beste in Dylans Schrank, seinem Rang geziemend. Und nun stellte dieses Mädchen seine Wahl in Frage.
    »Vielleicht ist es Ihnen ja lieber, wenn ich ihn ausziehe?«, schlug er seidenweich vor.
    Sie hatte sehr helle Haut, die jedes Erröten verriet, aber sie gab nicht klein bei. »Ich denke, Sie hätten fragen sollen, bevor Sie seinen Schrank geplündert haben.«
    »Ja, natürlich. Bringen Sie mich zu ihm.«
    Sie biss sich auf die Lippen. »Ich weiß nicht, ob … Er ist wahrscheinlich um diese Uhrzeit im Restaurant.«
    In welchem Restaurant?
    »Dann gehen wir dorthin«, sagte Conn.
    Er sah, wie in ihrem Gesicht Höflichkeit mit Widerwillen im Wettstreit lag. Er bewunderte ihre Manieren und ihre Vorsicht. Aber natürlich konnte er es ihr nicht erlauben, sich zu weigern.
    »Wir könnten aber auch bei Ihnen zu Hause warten«, fügte Conn hinzu.
    Ihre Augen weiteten sich. Etwas blitzte in diesen zartgrünen Tiefen auf, wie ein Fisch, der unter der Wasseroberfläche dahinschoss, bevor sie den Blick senkte.
    Frustriert starrte er auf ihren Scheitel.
    »Hier geht’s lang«, sagte sie.
     
    Die Straße schlängelte sich um Hügel herum, zwischen behaglichen, rechteckigen Häusern und Bäumen hindurch, die rot und golden brannten, und schließlich im Zickzack zum Hafen hinab. Lucy folgte dem Asphalt, der sich wie ein schwarzes Band zum Meer hin abspulte. Jeder Schritt, jeder Atemzug des Mannes neben ihr war ihr unangenehm bewusst.
    Genau genommen fürchtete sie ihn nicht. Wer auf dieser Insel groß wurde, lernte schnell, auf sich und seine Nachbarn aufzupassen. Ihr Bruder Caleb, der Polizeichef der Insel, wurde selten zu etwas Ernsterem gerufen als Teenagern, die in Wileys Laden Bier geklaut hatten, oder Fischern, die im Streit mit den Fäusten aufeinander losgegangen waren.
    Bis zu diesem vergangenen Sommer, als sich jenseits der »Bazillen« – so nannte man die Urlauber in der Inselsprache – der Wahnsinn auf World’s End eingenistet hatte. Eine Frau von auswärts war am Strand von einem Rechtsanwalt umgebracht worden, der an der Landspitze wohnte. Ein obdachloser Veteran hatte Regina Barone in ihrem eigenen Restaurant überfallen. Und erst vor zwei Monaten war ein unbekannter Eindringling in die Inselpraxis eingebrochen und hatte Regina und die Inselärztin fast getötet.
    Lucy schluckte den schalen Geschmack der Angst herunter. Nicht, dass der Bursche neben ihr wie ein Killer aussah. Aber man konnte nie wissen, oder? Bruce Whittaker, der Rechtsanwalt, der des Mordes am Strand überführt worden war, hatte man auch nicht angesehen, dass er Frauen in seinem Wohnzimmer folterte.
    Sie war erleichtert, als die Straße die Stadt erreichte. Die Nachmittagssonne tanzte auf dem Wasser im
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