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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss
Autoren: Virginia Kantra
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jeden kannte, der kein Tourist war. Und die letzten Touristen hatten die Insel am Labor Day verlassen.
    Sie rieb ihre verschwitzten Handflächen an der Jeans ab. Er musste mit der Fähre gekommen sein, überlegte sie. Oder auf einem Boot. Ihr wurde unangenehm bewusst, wie still die Schule war, nun, da alle Kinder nach Hause gegangen waren.
    Als er sah, dass sie ihn bemerkt hatte, trat er aus dem Schatten der Bäume hervor. Sie musste die Knie zusammenpressen, um nicht davonzulaufen.
    Weil wie ein Kaninchen vor der Schlange zu erstarren ja die so viel bessere Alternative war.
    Er war stattlich, größer als Dylan, breiter als Caleb und auch ein wenig jünger. Oder älter. Sie blinzelte. Es war schwer zu sagen. Trotz der eindrücklichen Ruhe, die er ausstrahlte, und des gut geschnittenen schwarzen Haars war etwas Wildes an ihm, das die Luft wie ein Gewitter auflud. Eine starke, breite Stirn, eine lange, ausgeprägte Nase, ein strenger Mund, der nicht lächelte, meine Güte. Seine Augen hatten die Farbe des Regens.
    Etwas rührte sich in Lucy, etwas, das jahrelang weggesperrt und still gewesen war. Etwas, das auch weiterhin still bleiben sollte. Es schnürte ihr die Kehle zu. Das Blut rauschte in ihren Ohren wie die See.
    Vielleicht hätte sie doch weglaufen sollen.
    Zu spät.
    Er schritt geräuschvoll über die trockenen Furchen des Ackers; irgendwie gelang es ihm, die Pflanzstäbe und -schnüre zu umgehen, über die viele der Erwachsenen stolperten. Ihr schlug das Herz bis zum Hals.
    Sie räusperte sich. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Ihre Stimme klang rauchig, sexy, für ihre eigenen Ohren fast nicht wiederzuerkennen.
    Der kühle, helle Blick des Mannes musterte sie. Sie spürte, wie ihre Nerven erschauerten; etwas tief in ihrem Bauch begann, sich zu regen.
    »Das müssen wir erst noch sehen«, antwortete er.
    Lucy biss sich auf die Zunge. Sie würde es ihm nicht übelnehmen. Sie würde gar nichts nehmen, was er anzubieten hatte.
    »Zum Inn geht’s dort entlang. Erste Straße rechts.« Sie zeigte in die angegebene Richtung. »Der Hafen liegt da hinten.«
    Geh weg,
dachte sie.
Lass mich in Ruhe.
    Die buschigen schwarzen Augenbrauen des Mannes schnellten nach oben. »Und warum sollte es mich interessieren, wo dieses Inn ist oder der Hafen?«
    Seine Stimme war tief und hatte eine seltsame Färbung – sie klang zu gewollt für einen Einheimischen und zu akkurat, um ein Akzent zu sein.
    »Weil Sie ganz offensichtlich nicht von hier sind. Ich dachte, dass Sie sich verirrt haben könnten. Oder jemanden suchen. Oder etwas.« Sie spürte die Hitze in ihre Wangen kriechen. Warum ging er denn nicht?
    »Das stimmt«, gab er zurück, ohne sie aus den Augen zu lassen.
    Als wäre er daran gewöhnt, dass Frauen in seiner Gegenwart erröteten und faselten. Wahrscheinlich taten sie das auch. Er war definitiv ein Adonis. Ein gut angezogener Adonis mit frostigen Augen.
    Lucy zog die Schultern hoch und gab sich die größte Mühe, wie eine Schildkröte in ihrem Panzer zu verschwinden, um seiner Aufmerksamkeit zu entkommen. Das war nicht leicht, wenn man über einen Meter achtzig groß und die Tochter des Stadtsäufers ist, aber sie hatte Übung darin.
    »Was stimmt?«, fragte sie widerstrebend.
    Er trat einen Schritt näher. »Ich suche jemanden.«
    Oh. Junge, Junge.
    Ein weiterer bedächtiger Schritt brachte ihn auf Armeslänge heran. Ihr Blick ruckte nach oben, geradewegs in seine Augen. Erstaunliche Augen, wie flüssiges Silber. Überhaupt nicht kalt. Sein hitziger Blick ergoss sich über sie, erfüllte sie, wärmte sie, brachte sie zum Schmelzen …
    O Gott.
    Die Luft steckte in ihren Lungen fest. Sie senkte den Blick und heftete ihn auf die harte Linie seines Mundes, auf die Stoppeln, die schon unter seiner Glattrasur lauerten, auf seinen kräftigen Hals, der aus dem engen weißen Hemdkragen emporwuchs.
    Obwohl sie den Blick abgewandt hatte, konnte sie fühlen, wie seine Augen auf ihr ruhten und ihre oberflächliche Gemütsruhe durcheinanderbrachten, wie ein Stock, mit dem man in einem Gezeitentümpel herumstochert und Sand aufwühlt. Ihr Kopf war wie vernebelt. Ihre Sinne wurden unscharf.
    Er war zu nahe. Zu groß. Selbst seine Kleidung schien für einen kleineren Mann gemacht. Der Stoff klammerte sich an die prallen Muskeln seiner Oberarme und schmiegte sich an seine breiten Schultern wie die Hand einer Geliebten. Sie stellte sich vor, wie sie mit den Händen das offene Jackett auseinanderschob und die Finger zwischen den straff
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