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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss
Autoren: Virginia Kantra
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Zeit vor der Zeit von Conns Vater, als die magische Flut voll und heiß dahinbrauste, hatten die Meereskönige die Macht wie ein Schwert ergriffen und geführt, aber die Gabe des Mervolks hatte abgenommen wie seine Zahl. Conns eigene Kraft war subtiler, farb- und formlos wie das Wasser, das ihm durch die geballten Hände rann.
    Deshalb wäre er beinahe über die Vision gestolpert, die in dem Gezeitentümpel zu seinen Füßen brannte.
    Licht traf auf die Wasseroberfläche und blitzte auf. Der Tümpel nahm die Farben des Himmels an, Orange und Gold. Elektrizität sirrte in der Luft. Der Hund jaulte auf.
    Conn verengte die Augen, als sich das gleißende Licht auflöste und eine weibliche Gestalt formte. Ein Mädchen mit langen Knochen, starken Schultern und Haaren, die so dicht und blass wie Stroh um das schmale und ruhige Gesicht wallten.
    Nun gut.
    Conn runzelte die Stirn. Keine Selkie. Er hätte eine der Seinen erkannt. Es waren nur noch einige Tausend von seinem Volk übrig – genug, um sie alle zu kennen, doch kaum genug, um über sie zu herrschen.
    Sie war nicht einmal besonders schön.
    Ein Mensch, dachte er. Und darum unwichtig.
    Aber warum hatte seine Gabe sie ihm dann offenbart?
    Ihr Bild schillerte, sicher eingeschlossen in dem seichten kleinen Tümpel wie ein Fisch, den die Ebbe gefangen hatte, nichts wissend von den bodenlosen dunklen Tiefen des Ozeans, die nur ein paar Schritte entfernt drohten.
    Sie bedeutete nichts, sagte sich Conn.
    Sie war nichts.
    Doch ihre Vision wollte nicht wieder weichen.
     

[home]
    1
     
    Conn ap Llyr hatte seit 300 Jahren keinen Sex mehr mit einer Menschenfrau gehabt.
    Und das Mädchen, das dort im Schmutz wühlte, umgeben von Kürbissen und geknickten Getreideähren, war wohl kaum als Belohnung für die Jahre seiner Selbstdisziplin und Aufopferung zu betrachten.
    Selbst auf den Knien war sie noch so groß wie viele Männer, grobknochig und langgliedrig. Auch wenn es eine Täuschung sein mochte, die ihre Kleidung – Jeans und eine zerlumpte graue Jacke – hervorrief. Conn dachte, dass unter der Jacke durchaus Kurven zu finden sein könnten. Große Brüste, kleine Brüste … Es kümmerte ihn kaum. Sie war die Eine. Ihr Haar fiel dicht und fahl um ihr nach unten gewandtes Gesicht. Ihre langen, bleichen Finger klopften und drückten auf der Erde herum. Schmutz klebte an ihrem Daumen.
    Keine Schönheit, dachte er wieder.
    Er wusste nun ihren Namen. Lucy Hunter. Er hatte ihre Mutter gekannt, die Meereshexe Atargatis. Dieses Menschenmädchen hatte ganz offensichtlich keinen der Reize und keine der Gaben ihrer Mutter geerbt. Sie war der lebende Beweis – wenn Conn noch einen gebraucht hätte –, dass die Kinder der See keinen Nachwuchs mit den Menschen zeugen sollten.
    Aber ein verhungernder Hund verschmäht selbst einen Knochen nicht!
    Seine Hände ballten sich zu Fäusten. In den letzten Wochen hatte die Vision des Mädchens ihn über den halben Globus hinweg heimgesucht, als Spiegelbild im Wasser, eingeprägt in sein Gehirn, nachts wie eine Kerze auf seiner Netzhaut brennend.
    Vielleicht begehrte er sie nicht, doch seine Zauberkunst beharrte darauf, dass er sie brauchte. Seine Gabe war so launisch wie eine schöne Frau. Und wie eine Frau würde seine Kraft ihn gänzlich verlassen, wenn er ihre Gunst missachtete. Das konnte er nicht riskieren.
    Er sah zu, wie das Mädchen mit der Hand über den geschwollenen Bauch eines Kürbisses fuhr. Wollte sie ihn von Schmutz befreien? Seinen Reifegrad prüfen? Er hatte nur eine sehr verschwommene Vorstellung davon, was sie dort zwischen all den kleinen Töpfen voller Kletterpflanzen und verblühender Blumen tat. Die Kinder der See bearbeiteten die Erde nicht, um sich von ihr zu ernähren.
    Enttäuschung wallte in ihm auf.
    Was hat sie mit mir zu tun?,
fragte er stumm.
Was habe ich mit ihr zu tun?
    Die Magie antwortete nicht.
    Was ihn erneut zu der naheliegenden Antwort führte. Aber er hatte schon zu lange geherrscht, um dem Naheliegenden zu vertrauen.
    Er erwartete keinen Widerstand. Er konnte sie sich geneigt machen, konnte bewirken, dass sie ihn wollte. Dies war, so dachte er bitter, die Macht von seinesgleichen, die noch übrig war, wenn andere Gaben längst aufgegeben oder vergessen waren.
    Nein, sie würde keinen Widerstand leisten. Aber sie hatte vielleicht Familie, die sich einmischen würde. Brüder. Conn zweifelte nicht daran, dass der menschliche, Caleb, alles in seiner Macht Stehende tun würde, um seine Schwester vor Sex und
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