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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss
Autoren: Virginia Kantra
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Magie zu schützen.
    Dylan hingegen war ein Selkie wie ihre Mutter. Er hatte unter den Kindern der See gelebt, seitdem er dreizehn Jahre alt war. Conn hatte immer auf Dylans Loyalität zählen können. Er glaubte, dass Dylan weder ein großes Interesse am Leben seiner Schwester hatte noch die Kontrolle darüber besaß, aber Dylan hatte sich mit einer Menschenfrau eingelassen. Wer wusste schon, wem gegenüber er jetzt loyal war?
    Conn runzelte die Stirn. Er konnte sich keinen falschen Schritt leisten. Das Überleben seiner Art hing von ihm ab.
    Und wenn – wie seine Visionen so beharrlich behaupteten – ihr aller Schicksal auch mit diesem Menschenmädchen verknüpft war …
    Er betrachtete ihren Kopf, der wie eine ihrer schweren goldgelben Sonnenblumen über die Gartenerde gebeugt war, und fühlte einen Anflug von Mitleid. Von Reue.
    Es war ein Unglück für sie beide.
     
    Lucy tätschelte den Kürbis so liebevoll wie einen Hund. Die Beete ihrer Zweitklässler konnten bald abgeerntet werden. So waren Pflanzen wie Schüler eine Bereicherung. Man investierte ein bisschen Zeit, ein bisschen Mühe, und schon sah man Ergebnisse.
    Nur zu schade, dass das nicht auch in anderen Bereichen ihres Lebens so agierte.
    Nicht, dass sie sich beklagen wollte, sagte sie sich. Sie hatte einen Job, den sie mochte, und Menschen um sich, die sie brauchten. Wenn sie sich manchmal so frustriert und rastlos fühlte, dass sie hätte schreien mögen, nun, dann war sie selbst schuld daran, dass sie nach dem College zurück nach Hause gezogen war. Zurück in das kalte, beengte Haus, in dem sie aufgewachsen war, in die leeren Räume, in der die Hülle ihres Vaters und der Geist ihrer Mutter umgingen. Zurück auf die Insel, auf der alle annahmen, dass sie alles über sie wüssten.
    Zurück an die See, die sie so fürchtete und ohne die sie doch nicht leben konnte.
    Sie wischte sich ihre Hände an der Jeans ab. Einmal hatte sie versucht wegzulaufen, als sie vierzehn gewesen und ihr klar geworden war, dass ihr angebeteter Bruder Dylan niemals zurückkommen würde, um sie zu retten. Sie war so schnell und so weit gerannt, wie sie konnte.
    Was, wie sich zeigte, überhaupt nicht weit war.
    In Erinnerungen versunken, sah Lucy über die Blumenstengel und Pflanzhügel des Gartens hinweg. Sie war per Anhalter nach Richmond gefahren, über dreißig Kilometer von der Küste entfernt, und auf dem stinkenden Fliesenboden einer Tankstellentoilette kollabiert. Beim Gedanken daran drehte es ihr den Magen um. Caleb hatte sie gefunden, zitternd und sich die Eingeweide aus dem Leib kotzend, und sie in das Haus mit den leeren Echos zurückgebracht, wo die See unter ihrem Fenster flüsterte.
    Sie hatte sich erholt, noch bevor die Fähre wieder abgelegt hatte.
    Grippaler Infekt, diagnostizierte der Inselarzt.
    Stress, sagte die Arzthelferin in Dartmouth, wo Lucy beim Rundgang durchs College plötzlich erkrankte.
    Panikattacke, beharrte ihr Exfreund, als sie auf ihrem Wochenendausflug nach Luft schnappend und würgend am Straßenrand stand.
    Was auch immer die Gründe dafür sein mochten, Lucy hatte ihre Grenzen kennengelernt. Sie machte ihr Lehrerdiplom in Machias, das sie von der Bucht aus zu Fuß erreichen konnte. Und sie entfernte sich nie wieder mehr als dreißig Kilometer vom Meer.
    Sie kam auf die Füße. Jedenfalls war sie … vielleicht nicht glücklich, aber doch zufrieden mit ihrem Leben auf World’s End. Mittlerweile lebten ihre beiden Brüder auf der Insel, und sie hatte eine Schwägerin. Bald, wenn Dylan Regina heiratete, würde sie sogar zwei haben. Dann würden auch Nichten und Neffen dazukommen.
    Und wenn das Glück ihrer Brüder sie manchmal schmerzte und zappelig machte …
    Lucy holte tief Atem, noch immer den Blick auf den Garten gerichtet, und zwang sich, an Pflanzen zu denken, bis das Gefühl wieder wegging.
    Knoblauch, sagte sie zu sich. Nächste Woche wollte sie sich mit ihrer Klasse daran machen, Knoblauch zu pflanzen. Die Knollen sollten im Boden überwintern, und in der nächsten Jahreszeit konnten ihre siebenjährigen Schüler ihre Ernte an Reginas Restaurant verkaufen. Ihre künftige Schwägerin beklagte stets, dass ihr frische Kräuter und Gewürze fehlten.
    Beruhigt von diesem Gedanken, wandte sich Lucy von den unregelmäßig angelegten Beeten ab.
    Jemand blickte vom Rande des Ackers herüber. Ihr Herz begann zu klopfen. Ein Mann, der unpassenderweise einen dunklen, eng sitzenden Anzug trug. Ein Fremder hier auf World’s End, wo sie
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