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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss
Autoren: Virginia Kantra
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gespannten Knöpfen des Hemdes hindurchsteckte, um krauses Haar und heiße Haut zu berühren.
    Falsch,
beharrte eine kleine, klare Ecke ihres Verstandes.
Falsche Kleidung, falscher Mann, falsche Reaktion.
Dies war die Insel, auf der die Uniform des arbeitenden Mannes aus kariertem Flanell über einem weißen T-Shirt bestand. Er war ein Fremder. Er gehörte nicht hierher.
    Und sie konnte niemals irgendwo anders hingehören.
    Sie holte Luft und hielt den Atem an, so wie sie es sich beigebracht hatte, als sie noch ein Kind gewesen war, bis alles in ihr wieder seinen ursprünglichen Platz eingenommen hatte. Sie konnte ihn riechen – scharfe Männlichkeit, kühle Baumwolle und etwas Unergründlicheres, Wilderes, wie die salzige Duftnote des Meeres. Wann war er ihr so nahegekommen? Sie ließ niemanden je so nahekommen.
    Sein Blick erforschte sie wie die Strahlen der Sonne, schwer und warm, kundschaftete alle schattigen Orte aus, all die geheimen Winkel ihrer Seele. Sie fühlte sich nackt. Entblößt. Wenn sie diesem Blick begegnete, wäre sie verloren.
    Sie schluckte und konzentrierte sich auf seine Hemdbrust. Ihr Blut klopfte.
Sieh nicht hoch, sieh nicht …
    Sie fasste seine Krawatte ins Auge – silbergrau mit einem dünnen blauen Streifen und einem seidigen Schimmer.
    Lucy runzelte die Stirn.
Genau wie …
    Sie sah näher hin.
Ganz genau wie …
    Ihr Kopf wurde wieder frei. Sie wich einen Schritt zurück. »Das ist Dylans Krawatte.«
    Dylans Anzug. Sie kannte ihn von Calebs Hochzeit.
    »Vermutlich«, gab der Fremde kühl zu. »Ich habe ihn aus seinem Schrank genommen.«
    Lucy blinzelte. Dylan hatte die Insel mit ihrer Mutter verlassen, als sie selbst noch ein Baby gewesen war. Vor vier Monaten war er zur Hochzeit ihres gemeinsamen Bruders Caleb zurückgekehrt und geblieben, als er sich in die alleinerziehende Mutter Regina Barone verliebt hatte. Aber in all den Jahren, in denen er fort gewesen war, musste er natürlich Bekanntschaften, Freundschaften geschlossen und ein Leben jenseits von World’s End geführt haben.
    Der Glückliche.
    »Dylan ist mein Bruder«, erklärte sie.
    »Ich weiß.«
    Seine Dreistigkeit ging ihr unter die Haut. »Sie kennen ihn gut genug, um sich aus seinem Schrank zu bedienen?«
    Ein Winkel dieses breiten, strengen Mundes zuckte. »Warum fragen Sie nicht ihn?«
    »Äh …« Sie verirrte sich wieder in seinen Augen. Was? Verdammt. Nein. Niemals würde sie diesen Fremden nach Hause zu ihrer Familie mitschleppen. Sie stellte sich vor ihrem geistigen Auge ihre Gesichter vor: das ruhige, geduldige von Caleb, das scharf geschnittene, vornehme von Dylan, Maggies wissendes Lächeln, Reginas finstere Miene. Sie blinzelte, während sie aus den Gesichtern Stein für Stein eine Mauer errichtete, um sich dahinter zu verstecken. »Das ist schon okay. Ich wünsche Ihnen noch …«
    Ein schönes Leben?
    »… einen schönen Aufenthalt«, beendete sie den Satz, und ohne sich umzudrehen begann sie, sich von ihm zurückzuziehen.
     
    Conn war brüskiert. Verwundert.
    Sie ließ ihn stehen.
    Ihn. Sie glitt davon wie eine Krabbe, die das Brausen des Wassers nervös machte. Als ob seine Magie keinerlei Macht über sie hätte. Als ob er zum Sprung ansetzen könnte, sobald sie ihm den Rücken zuwandte.
    Er zog die Lippen von den Zähnen zurück. Vielleicht würde er das auch.
    Er hatte seine Verführungskraft, seine potente sexuelle Magie nicht zur Gänze ausgespielt. Warum sollte er auch? Er hatte gespürt, dass sie willig war, hatte ihre Erregung gerochen. Ihre Augen, das weiche Graugrün der See unter einem wolkenverhangenen Himmel, waren weit und dunkel geworden. Einen Moment lang, während er ihren Blick festgehalten hatte, hatte Conn ein Ziehen in seinem Bauch gefühlt, ein Klicken der Verbundenheit, wie ein kaum hörbares Einrasten in seinem Schädel.
    Und dann blinzelte sie. Als sie seinen Blick erwiderte, waren ihre Augen wieder ausdruckslos und hell.
    Enttäuschung schnürte ihm die Kehle zu.
    Er konzentrierte sich, bis sein Herz hämmerte, lenkte seinen Blick und seinen Willen auf sie, suchte … wonach? Unterwerfung? Oder nach einer Vision, einem Zeichen, irgendetwas, das ihm einen Anhaltspunkt geben konnte.
    Nichts, erkannte er müde.
    Nichts außer ihrem Gesicht, das zwischen den Vorhängen ihres strohfarbenen Haars so blass hervorlugte, und seinem eigenen Spiegelbild, das in ihren Augen gefangen war. Die Magie, die ihn hierhergetrieben hatte, hatte sich wie eine Welle von einem Felsen zurückgezogen
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