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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel
Autoren: C Walden
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Vierzigern, mit einem fleckigen und von Narben entstellten Gesicht. Man sagte, er habe in seiner Kindheit als Einziger eine Pestepidemie in dem Dorf Creto, unweit des gleichnamigen Berges bei Genua, überlebt. Während der Schwarze Tod das ganze Dorf hinweggerafft hatte, war der Junge noch am Leben geblieben. Reisende Mönche nahmen ihn mit – trotz der Tatsache, dass der kleine Matteo jene Geschwüre trug, wie sie der Schwarze Tod häufig mit sich brachte, und pflegten ihn. Dass er gesundete, werteten sie als ein Wunder: Es musste ein Zeichen sein, mit dem der Herr ihre Menschlichkeit und Nächstenliebe belohnt hatte.
    Seitdem, so verkündete es Matteo da Creto immer wieder von der Kanzel, wenn er die Messe las, kannte er keine Furcht. Nicht vor dem Schwarzen Tod und auch nicht vor den osmanischen Heiden, die der Lehre Mohammeds folgten und deren Kanonenschläge selbst aus meilenweiter Ferne die Mauern Konstantinopels erzittern ließen.
    So stand Matteo nun da und sprach unbeirrbar seine Gebete. Genauso unbeirrbar deckten die Pestknechte die Toten mit Erde zu, auf dass mit ihnen das Böse dorthin verschwände, wo es hergekommen war.
    »Der Beweis ist erbracht!«, hörte Maria ihren Bruder Marco mit schreckensbleichem Gesicht und weit aufgerissenen Augen sagen. »Satan ist mächtiger, als Gott es je war!«
    »Hör auf, so zu reden!«, widersprach Maria.
    »Es ist die Wahrheit, Schwester, selbst wenn du sie schlecht ertragen kannst! Wohin du auch siehst, siegt das Böse!«
    Sie gingen jetzt um das Grab herum, während der Karren bereits fortgerollt wurde und die Pestknechte aufs Neue ihrer schauerlichen Arbeit nachgingen. Von der anderen Seite der Begräbnisstätte hörte man lautes, hemmungsloses Wehklagen. Schreie – von Männern, Frauen und Kindern, die in ihrer Trauer nicht einmal mehr zu einem Gebet fähig waren und offenbar das Vertrauen in den Herrn verloren hatten, wie es bei Marco der Fall war.
    »Der Herr hat das Übel geschaffen, um die Gläubigen zu prüfen«, sagte Matteo da Creto, der Marcos Worte sehr wohl gehört hatte.
    »Ach ja? Und im Moment prüft er wohl gerade uns?«
    »Vertraue auf seine Führung, wie es dein Vater und deine Mutter getan hätten!«
    »Man sieht, was ihnen das gebracht hat!«, rief Marco so laut, dass sich einer der Pestknechte, der mit seiner Maske wie ein unmenschliches, grauenvolles Fabelwesen der Hölle aussah, noch einmal umdrehte, bevor er den anderen folgte.
    Matteo legte Marco eine Hand auf die Schulter.
    In diesen Tagen, da sonst so gut wie niemand es wagte, einen anderen zu berühren, aus Angst, sich anstecken zu können, und in der es manche Geistliche sogar vermieden, das Abendmahl zu reichen, war Pater Matteo eine Ausnahme. Ein Mensch gewordenes Zeichen der Furchtlosigkeit; jemand, der allein dadurch, dass er noch lebte, zu beweisen schien, dass der Herr auf seiner Seite sein müsste und dass das, was er sagte, unverkennbar durch ihn inspiriert wäre.
    Pater Matteos Blick ruhte für eine Weile nachdenklich auf dem jungen Mann.
    »Du und deine Schwester, ihr braucht jetzt einander«, meinte der Geistliche schließlich. »Es wird schwer genug werden, das Handelshaus di Lorenzo zu erhalten.«
    Marco lachte heiser. »Sorgt Ihr Euch um die Stiftungen, die mein Vater der Kirche überließ? Um das Krankenhaus von Pera, in dem Christen, Juden und Muslime genauso wie die Armen von der Straße behandelt werden?«
    Pater Matteos von Narben übersätes Gesicht blieb unbewegt. Seine dunklen Augen musterten Marco eindringlich. »Für die Toten können wir nichts mehr tun. Sie sind in der Hand des Herrn. Aber ich sorge mich um dein Seelenheil, Marco!«
    »Und um das Geld unserer Familie!«
    »Ich kenne dich beinahe von Geburt an, mein Junge! Ich habe dich getauft und habe deiner Mutter geraten, dir den Namen eines Evangelisten zu geben. Wenn du mir Geldgier unterstellst, bist du wirklich im Irrtum. Ich will euch nur helfen!«
    »Ach ja?«
    »Marco!«, fuhr Maria dazwischen.
    »Du bist zu arglos, Maria!« Er drehte sich um und ging davon.
    Maria sah ihrem Bruder nach.
    »Sieh nicht auf das, was ihr verloren habt, sondern auf das, was noch blieb!«, riet der Pater. »Denn nur Letzteres führt dazu, dem Herrn zu danken, anstatt ihn unbedachterweise zu verfluchen, was auf den ersten Blick so viel näherliegend zu sein scheint.«
    »Ja«, flüsterte Maria. »Wenn ich in ein paar Wochen noch lebe, dann will ich das gerne tun.«
    Tage später
    Eine Barkasse legte im Eutherios-Hafen von
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