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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel
Autoren: C Walden
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Wiedervereinigung von Ost- und Westkirche zum Trotz, die immer dann von Neuem aufkamen, wenn die Truppen des osmanischen Sultans dem schrumpfenden Kaiserreich wieder irgendeinen Zipfel Land wegnahmen oder gar vor die Mauern der Stadt selbst vorrückten. Insgeheim hoffte so mancher, dass ein Heer der vereinigten Christenheit Konstantinopel vor den Osmanen rettete. Diese Hoffnung schien allerdings genauso trügerisch zu sein wie jene, dass die Pestilenz die Stadt in Zukunft verschonte.
    »Satan siegt! Das Tier des Unheils ist überall!«, schrie Marco jetzt aus vollem Hals und übertönte damit sogar die Gesänge der Gläubigen.
    Marias Augen waren tränenblind. Aus ihrem Mund kamen wie von selbst Gebete, so als würde eine geheime Kraft erneut ihre Lippen bewegen und die Worte formen. Es war ihre Antwort auf den Ausruf ihres Bruders.
    Undeutlich hörte sie einen der Pestknechte etwas sagen, während sich der Zug, einem schaurigen Totentanz gleich, vorwärtsbewegte. »Die Erben der Familie di Lorenzo haben Glück«, murmelte der Pestknecht unter seiner Maske. »Das Haus ist aus Stein, und wenn es ausgeräuchert ist, werden wenigstens die Mauern noch stehen.«
    Ein leichter Regen setzte ein, und ihre Tränen vermengten sich mit seinen Wassertropfen. Sehr bald schon klebten Maria die Haare im Gesicht.
    Sie folgte dem Wagen durch die Gassen. An viele Türen war eine umgedrehte 4 mit schwarzer Farbe aufgemalt worden – ein Kreuz, das ohne abzusetzen mit einem einzigen Strich aufgetragen worden war. Ein Zeichen gegen den Schwarzen Tod, gegen diese Geißel, die Gott einfach nicht von den Menschen Konstantinopels nehmen wollte. Er allein musste wissen, weshalb. An manchen dieser Türen war nicht Farbe, sondern Blut verwendet worden. Schafblut – so wie das Volk Israel vor seinem Aufbruch aus Ägypten seine Häuser gezeichnet hatte, damit der Todesengel vorüberginge, den Gott gesandt hatte, um die Erstgeburt der Ägypter zu töten. Aber dieser alte Zauber wirkte offensichtlich nicht mehr. Maria kannte mindestens ein Dutzend Häuser, in die der Schwarze Tod trotz dieser schützenden Zeichen Einzug gehalten hatte. Der Todesengel schlug anscheinend wahllos zu und holte sich, wen immer er wollte. Es schien keine Macht zu geben, die der Willkür seiner unberechenbaren Kraft hätte Einhalt gebieten können.
    Der Regen war stärker geworden, als sie den Gebeinacker vor den Mauern von Pera erreichten, wo die Toten von den Pestknechten in Gruben geworfen wurden. Särge gab es für keine Menschenseele mehr zu kaufen, nicht für Arm und nicht für Reich, und schon seit Wochen nahm man weder auf die Religionszugehörigkeit noch den Stand Rücksicht. Selbst die mehrfach benutzbaren Pestsärge, an deren Unterseite eine Klappe angebracht war, sodass die Toten herausfielen, wenn man sie löste und den Sarg danach wieder aus der Grube heben konnte, wurden nicht mehr verwendet. Ihr Holz war dunkel geworden vom blutigen, fauligen Auswurf, der den Toten noch aus dem Mund und anderen Körperöffnungen oder den aufgeplatzten Beulen quoll, mit der Folge, dass die Pestilenz längst darin wohnte. Der Regen, der in diesem Jahr so stark wie selten war, hatte das Holz zusätzlich mit Fäulnis geschlagen und die häufig schon jahrelang verwendeten Pestsärge morsch und brüchig werden lassen, sodass die rostigen Nägel aus ihnen herausbrachen. Überdies gab es kaum noch Zimmerleute, die bereit und in der Lage gewesen wären, die Särge zu ersetzen: Die einen waren selbst vom Pesthauch geschlagen und lagen darnieder, die anderen hatte das Miasma der Furcht sich verkriechen lassen; manche Handwerker glaubten, dass das Anfertigen eines Pestsargs ihnen Unglück brächte und vielleicht sogar die Pestilenz erst anlockte.
    Der Regen fiel jetzt in dicken Tropfen. Der Boden zu Marias Füßen war aufgeweicht. Das Wasser sammelte sich in Pfützen und trieb überall die Ratten aus ihren Löchern, die völlig die Furcht verloren hatten und wie trunken über den Acker schlichen – so wie man sie in den Straßen antreffen konnte.
    Pater Matteo da Creto versuchte, dem Akt der Bestattung einen letzten Rest von Würde zu geben. Er sprach ein Gebet, hatten doch die meisten der Toten schon keine heiligen Sakramente mehr empfangen können, bevor sie dahingeschieden waren. Pater Matteo war der letzte Priester der römischen Kirche, den es zurzeit in Pera noch gab. Alle anderen waren entweder geflohen oder in Ausübung ihrer Pflichten gestorben. Matteo war ein Mann in den
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