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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel
Autoren: C Walden
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ausgeschlossen, dass sie je wiedererstehen könnte.
    »Und wie kommen wir über das Goldene Horn?«, fragte sie.
    »Wir werden sehen«, gab Wolfhart zurück. Kanonendonner ließ sie wie viele andere Menschen auf der Mese zusammenzucken. Aber dieser Kanonendonner kam nicht mehr aus Richtung der Theodosianischen Mauer, sondern vom Goldenen Horn her. Offenbar ließen die Galeonen ihre Geschütze sprechen, was bedeutete, dass sich bereits Truppen des Sultans in ihrer Schussweite am Ufer befinden mussten.
    Wolfhart und Maria gingen die Mese entlang bis zum Konstantin-Forum. Die meisten Menschen hatten genau die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. Sie rannten zum Palast, in der Hoffnung, dort eine letzte Zuflucht zu finden. Gegen diesen Strom zu schwimmen war gar nicht so einfach. Maria folgte Wolfhart und fragte sich, ob es wirklich das Richtige war, was sie taten. Aber konnte es in all diesem Chaos überhaupt eine richtige Entscheidung geben?
    Eigentlich wollten sie die große Nord-Süd-Verbindung, die den Konstantin-Hafen mit dem Goldenen Horn verband, benutzen, aber auf dieser Straße drängten sich Tausende von Menschen. Janitscharen plünderten die Wagenladungen von Flüchtlingen und drangen in die herrschaftlichen Häuser ein, die sich zu beiden Seiten der Straße befanden. Maria und Wolfhart nahmen den Weg durch die kleinen Gassen um das alte Kapitol herum. Immer wieder mussten sie Soldaten des Sultans ausweichen.
    Widerstand gab es nirgends mehr. Die Stadt war erobert.
    Sie erreichten die Mauern am Goldenen Horn, in der Lücken klafften so groß wie Tore. Es waren die Kanonen auf den Galeonen der Genueser und Venezianer, die diese Lücken beim Versuch, sich gegen den Beschuss der osmanischen Truppen zu wehren, ins Gemäuer geschossen hatten. Die Osmanen zielten offenbar mit den auf den eroberten Wehrgängen stehenden Geschützen auf die Schiffe, die nun vor der Kette zwischen Konstantinopel und Pera in der Falle saßen.
    Dutzende von getöteten Türken lagen zwischen den Trümmern. Hin und wieder auch schreiende Verletzte, denen niemand helfen konnte und die froh waren, wenn sie schnell starben und nicht vorher noch wütenden rhomäischen Flüchtlingen in die Hände fielen.
    Auf der anderen Seite des Goldenen Horns arbeitete man daran, die Kette zu lösen, die eigentlich ein Schutz hätte sein sollen, die sich nun aber in einen Fluch zu verwandeln drohte.
    Maria und Wolfhart liefen durch die zerstörten Mauern ans Ufer. Mehrere Barkassen lagen dort. An manchen war die Vertäuung gelöst werden, und sie glitten auf das Wasser hinaus. Die Insassen waren durch Pfeile getötet worden. Leichen trieben im Wasser. Wolfhart und Maria nahmen eine der Barkassen und ruderten in Richtung des peräischen Ufers.
    Von den genuesischen Galeonen aus wurde wieder geschossen. Pulverdampf zog über das Wasser. Schlimmer, als es war, konnte es nicht mehr werden, dachte Maria. Die karge Gefangenschaft hatte sie sehr geschwächt. Sie war kaum verpflegt worden. Aber nun versuchte sie, die letzten Kräfte aufzubieten, um doch das andere Ufer zu erreichen.
    Immer wieder wurde über ihre Köpfe hinweg auf die kaiserliche Kriegsflotte geschossen. Masten brachen, Aufbauten krachten in sich zusammen. Dann senkte sich endlich die Kette am Ausgang des Goldenen Horns, und die Galeonen konnten fliehen.
    Starker Wellengang ließ die Barkasse schwanken. Wasser klatschte ins Innere, schwappte hin und her und sorgte für zusätzliche Unsicherheit.
    Als sie schließlich das peräische Ufer erreichten, rang Maria nach Luft. Der Hafen war voller Menschen. Flüchtlinge wie sie.
    Drei Tage plünderten die Türken Konstantinopel. Der Wind trug die Todesschreie der Erschlagenen ebenso über das Goldene Horn wie den Rauch brennender Häuser.
    Für die Menschen in Pera bedeutete diese Plünderung jedoch einen Aufschub, denn solange der Sultan seinen Männern freie Hand ließ, würden sie nicht vor den Mauern der Genueser Kolonie erscheinen und auch diese überrennen.
    Die Nächte verbrachten Maria und Wolfhart in dem ausgebrannten Elternhaus der Familie di Lorenzo, dessen Instandsetzung wohl für immer unvollendet bleiben würde.
    Niemand wusste, was werden würde.
    Maria schmiegte sich an Wolfharts Schulter. Es gab keine Decken und nur ein Lager auf dem blanken Boden. Aber sie hatten sich gegenseitig, und das war mehr, als sie erhofft hatten.
    »Ich möchte nicht, dass wir uns je wieder verlieren«, sagte Maria. »Ganz gleich, was die Zukunft
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