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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel
Autoren: C Walden
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später die Lebensgrundlage wiederum ihrer Nachkommen sein könnte.
    Die sechs kräftigen Ruderer, die die Barkasse jetzt mit ihren Ruderschlägen in die offene, durch Leuchtfeuer gekennzeichnete Einfahrt des Eutherios-Hafens trieben, waren griechische Tagelöhner, die für ein paar Münzen angeheuert worden waren, um Marco und Maria di Lorenzo unter Umgehung aller Quarantäne-Bestimmungen in den Eutherios-Hafen zu bringen. Niemand, der aus Pera kam, hatte gegenwärtig irgendeine Möglichkeit, den Meeresarm zu überqueren, den man das Goldene Horn nannte und der dieses Viertel vom eigentlichen Konstantinopel trennte. Jener Stadtteil, der von der Pest betroffen war, sollte isoliert bleiben. Aber es gab nicht genug Kräfte, um das wirklich kontrollieren zu können. Und die wenigen Männer, die der Kaiser unter Waffen hatte, waren vorrangig für andere Aufgaben vorgesehen – zum Beispiel dafür, die große Theodosianische Mauer zu besetzen, die schon Hunnen und Goten getrotzt hatte und seit geraumer Zeit auch als letztes Bollwerk gegen die türkischen Osmanen diente.
    Davon abgesehen verfügte das Haus di Lorenzo über beste Beziehungen zur Hafenverwaltung. Das war nicht nur in Zeiten der Pest eine Überlebensfrage für jeden, der in jener Stadt, die man auch das Neue Rom nannte, in größerem Stil Handel treiben wollte.
    Die Barkasse legte schließlich an. Einer der Griechen sprang an Land und vertäute sie.
    »Eure Fahrt ist zu Ende, Herrin«, sagte der Steuermann an Maria gerichtet. Er sprach Griechisch. Maria beherrschte diese Sprache ebenso gut wie ihren Genueser Dialekt oder das Lateinische, das sie in seiner reinen und klaren Form hatte erlernen müssen, da es noch immer die Lingua franca der christlichen Länder war.
    Maria stieg an Land. Sie fühlte sich so schwach wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Ein flaues, drückendes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend bemerkbar. Sie hatte in den letzten Tagen nichts gegessen und sehr wenig getrunken. Dieses Fasten war noch nicht einmal Teil der Bußgebete gewesen, die sie in der Kapelle am Ende der Via del Piero in Pera absolviert hatte. Vielmehr hatte sich einfach keine Gelegenheit gefunden. Davon abgesehen konnte jeder Laib Brot, jeder Schluck Wasser und alles, was sonst in den Körper drang, auch die Pestilenz mit sich bringen, von der bisher niemand wirklich wusste, was sie auslöste und verbreitete. Sie war wie die Pfeile eines Armbrustschützen, der im Hinterhalt lauerte. Nur er allein wusste, auf wen er zielte, aber für diejenigen, deren Körper von den Bolzen zerschmettert wurden, war sie wie ein Schlag aus heiterem Himmel. Etwas, gegen das es keine Verteidigung geben konnte. Das vor allem machte sie so grauenvoll.
    Marco folgte seiner Schwester.
    In der Nähe der Kaimauer war der Schatten eines zweispännigen Wagens zu sehen, der sich aus dem aufkommenden Nebel abhob. Eine hochgewachsene Gestalt trat auf Maria und Marco zu. Eine der wenigen Öllaternen, die die ganze Nacht über den Bereich in unmittelbarer Nähe der Kaimauer erhellten, beschien das stark konturierte Gesicht eines Mannes von unbestimmtem Alter. Das Haar an seinen Schläfen war grau, ebenso der Bart, der sein ohnehin sehr spitz zulaufendes Kinn noch stärker hervorhob.
    Er trug eine Lederkappe mit Fasanenfeder und einen langen Rock. An dem breiten Gürtel hing neben einer Geldbörse auch ein kurzes Seitschwert, wie es viele Händler und Kaufleute mit sich führten – zumeist eher zur Zierde, als um sich im Ernstfall tatsächlich damit zu verteidigen.
    »Davide!«, stieß Maria hervor.
    »Kommt! Wir sollten hier kein unnötiges Aufsehen erregen!«
    »Sind die Hafenwächter nicht immer mit ausreichenden Zuwendungen bedacht worden?«, fragte Marco höhnisch.
    Davide wandte den Blick an Marco. »Ihr könnt sicher sein, dass uns die Hafenwache treu ergeben ist. Trotzdem ist es besser, wenn man Euch nicht im Bußgewand und mit Asche auf dem Haupt sieht.«
    »Muss man sich jetzt schon für seine Bereitschaft zur Buße schämen?«, spottete Marco.
    »Wo gebüßt wird, ist auch der Grund für die Buße zu Hause – und das ist die Sünde«, erwiderte Davide ruhig. »Und die wiederum lockt das unsichtbare Fliegengeschmeiß an, das die Pestilenz verbreitet, indem es in Nasen und Ohren hineinkriecht.«
    »Ach, so ist das!«
    »Ja, so ist das!«
    Nur mit Mühe schien Davide den Ärger über Marcos herablassenden Tonfall beherrschen zu können. Vielleicht ahnte Davide auch, dass Marcos Überheblichkeit
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