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McCreadys Doppelspiel

McCreadys Doppelspiel

Titel: McCreadys Doppelspiel
Autoren: Frederick Forsyth
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mußte ihm Dinge sagen, Forderungen stellen, die nicht in Form einer schriftlichen Nachricht in einen toten Briefkasten geworfen werden konnten. Ein Stück Blech auf dem Dach eines Schuppens weiter unten am Bahngleis flatterte knarrend, als es von einem frühmorgendlichen Windstoß erfaßt wurde. Er drehte sich um, registrierte die Quelle des Geräuschs und starrte wieder auf den dunklen Fleck neben der Lokomotivendrehscheibe.
    »Sam?« rief er leise.
    Sam McCready lag schon auf der Lauer. Bereits seit einer Stunde wartete er im Dunkeln auf dem aufgelassenen Rangierbahnhof am Stadtrand von Ost-Berlin. Er hatte gesehen oder vielmehr gehört, wie der Russe eintraf, aber trotzdem gewartet, um sich zu vergewissern, daß auf dem staub- und schuttbedeckten Gelände keine anderen Schritte zu hören waren. So oft er das alles auch schon erlebt hatte, der Knoten unten im Magen wollte sich nicht auflösen.
    Zur verabredeten Zeit, nachdem er die Überzeugung gewonnen hatte, daß außer ihnen beiden niemand hier war, hatte er mit dem Daumennagel das Zündholz angerissen, so daß es einmal kurz aufflammte und dann verlosch. Der Russe hatte das Signal gesehen und war hinter dem alten Wartungshäuschen zum Vorschein gekommen. Die beiden Männer hatten allen Grund, lieber in der Dunkelheit zu operieren, denn der eine war ein Verräter und der andere ein Spion.
    McCready trat aus dem Dunkel und blieb stehen, damit der Russe ihn sehen und sich vergewissern konnte, daß auch er allein war. Dann trat er auf den Russen zu.
    »Jewgeni! Lange nicht gesehen, mein Freund.«
    In einem Abstand von fünf Schritten konnten sie einander deutlich sehen und feststellen, daß sie keinem Double gegenüberstanden, daß sie nicht hinters Licht geführt worden waren. Denn das war immer das Gefährliche bei einer Begegnung von Mann zu Mann. Es hätte sein können, daß man den Russen enttarnt und ihm bei den Verhören das Kreuz gebrochen hatte, so daß der KGB und der Staatssicherheitsdienst der DDR einen hochrangigen britischen Geheimdienstmann in eine Falle locken konnten. Oder aber die Nachricht des Russen war abgefangen worden, und nun ging er in die Falle und anschließend in die lange dunkle Nacht der Verhöre, die schließlich mit einem Genickschuß endete. Mütterchen Rußland kannte kein Erbarmen mit seiner Verräter-Elite.
    McCready umarmte den andern nicht, gab ihm nicht einmal die Hand. Manche Spitzenleute brauchten das; die persönliche Note, den ermutigenden körperlichen Kontakt. Jewgeni Pankratin, Oberst der Roten Armee, Angehöriger der sowjetischen Streitkräfte in der DDR, war eine kalte Natur, reserviert, verschlossen, voll selbstbewußter Arroganz.
    Er war zum erstenmal 1980 in Moskau dem scharfen Auge eines Attachés an der Britischen Botschaft aufgefallen. Auf einem diplomatischen Empfang mit höflich-banaler Konversation plötzlich die beißende Bemerkung des Russen über die Gesellschaft seines eigenen Landes. Der Diplomat hatte sich nichts anmerken lassen, kein Wort gesagt. Aber er hatte die Bemerkung registriert und weitergemeldet. Ein möglicher Kandidat. Zwei Monate danach war ein erster, tastender Annäherungsversuch unternommen worden. Oberst Pankratin hatte unverbindlich, aber nicht abweisend reagiert. Das galt als ein positives Zeichen. Dann war er versetzt worden, nach Potsdam, zur Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, der aus zweiundzwanzig Divisionen mit 330.000 Mann bestehenden Armee, die dafür sorgte, daß die Ostdeutschen botmäßig blieben, daß die Marionette Honecker sich an der Macht hielt, die Westberliner in Furcht lebten und die NATO sich für einen alles niederwalzenden Vormarsch durch die norddeutsche Tiefebene in Bereitschaft hielt.
    McCready hatte den Fall übernommen; es war sein Revier. 1981 unternahm er selbst einen Annäherungsversuch, und Pankratin wurde gewonnen. Kein großes Theater, keine Gefühlsausbrüche, die man sich anhören und für die man Verständnis zeigen mußte. Er machte kein Hehl daraus, daß er Geld sehen wollte.
    Menschen verraten das Land ihrer Väter aus vielerlei Gründen: aus persönlichem Groll, aus ideologischen Motiven, wegen einer entgangenen Beförderung, aus Haß auf einen bestimmten Vorgesetzten, aus Scham wegen bestimmter sexueller Vorlieben, aus Angst, wegen eines Versagens zur Rechenschaft gezogen zu werden. Bei den Russen war es in der Regel eine tiefe Ernüchterung; sie hatten genug von der Korruption, den Lügen und der Vetternwirtschaft, die sie rings um
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