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Maya und der Mammutstein

Maya und der Mammutstein

Titel: Maya und der Mammutstein
Autoren: Margaret Allan
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Mammutstein. Er sah ein ganz klein wenig anders aus als der, den Maya in ihrer Rechten umklammerte, doch sie wußte, daß beide von gleicher Hand gefertigt waren.
    Die Lippen der Frau bewegten sich. Ihre Worte tönten wie ein entferntes Flüstern, unheilvoll. »Jetzt mußt du deine Wahl treffen, Tochter«, sagte sie.
    Dann blieb sie schweigend stehen und wartete.
    Alles wartet, dachte Maya. Selbst die Berge schienen sich gespannt vorzubeugen, um auf ihre Antwort zu lauschen.
    Mein ganzes Leben lang habe ich mich dagegen gewehrt, dachte sie. Ich bin davor weggelaufen, habe mich versteckt, habe so getan, als existiere es nicht. Als Zauber es mir erzählt hat, habe ich es verdrängt. Wenn ich davon geträumt habe, habe ich es beiseite gewischt. Und als der Stein zu mir kam, habe ich ihn meinem schlimmsten Feind gegeben. Und warum ?
    Weil ich anders war und weil ich geliebt werden wollte. Ich wollte dazugehören. Und so habe ich gegen das gekämpft, was immer in mir war, und habe zu zerstören versucht, was mein war durch Geburtsrecht.
    Und schließlich, als die Qual und der Betrug unerträglich wurden, habe ich alles zu vergessen versucht.
    Weil ich Angst hatte.
    Langsam holte sie die geschnitzte Figur aus ihrem Umhang. In dem seltsamen grauen Licht dieses Ortes - der, wie sie wohl wußte, nicht von dieser Welt war - glühte der Stein in einem warmen Gold. Sie legte ihn auf die geöffnete Handfläche.
    Die Frau vor ihr sagte nichts. Es schien, als könne sie bis in alle Ewigkeit warten.
    Das kann sie auch, durchfuhr es Maya in einem Geistesblitz. Sie kann für immer warten, wenn es sein muß. Doch ich habe eine Wahl zu treffen, und das bald. Ich kann mich umdrehen und zurückgehen. Nichts wird dann geschehen, außer daß das Volk sterben wird und ich es nicht rette.
    Sie sah auf den Stein in ihrer Hand hinab und erinnerte sich. Ihr ganzes Leben zog an ihr vorüber: die Verletzungen, die Todesqualen, die Schläge und Zurückweisungen. Ihr eigener Vater hatte sich von ihr losgesagt. Der Schamane hatte sie fast getötet. Das Volk hatte sie aus seiner Mitte verstoßen.
    Wähle.
    Was schuldete sie ihnen, ihrem Volk, das ihr all das angetan hatte?
    Wähle.
    Als die Antwort schließlich gegeben wurde, schien sie ihr das Einfachste von der Welt zu sein. Sie schuldete ihnen das Leben, denn das war es, was sie ihr geschenkt hatten und was der Stein bedeutete. Er war Leben.
    Ihre Schultern sanken vornüber, dann straffte sie sich, als sei soeben eine unsichtbare Last von ihr genommen worden. Sie trat vor, sank auf die Knie und hielt der Frau den Stein entgegen, die mit glühenden Augen auf ihn niederblickte.
    Über sich sah Maya etwas Riesiges und Wolkenhaftes zusam-menwachsen. Donner dröhnte in seinem Inneren. »Ich bin, die ich bin«, entgegnete Maya, und die Fesseln, die sie ihr Leben lang geknechtet hatten, fielen von ihr ab, als hätten sie nie existiert. Eine wilde Freude durchflutete sie. »Ich wähle dich, Mutter! Ich wähle das Leben!«
    Über ihrem Kopf teilte ein Blitzschlag die schwarzen Wolken. Der Stein in ihrer Hand erglühte in eigenem Licht, antwortete. Maya hob den Blick zu der Frau und sagte: »Nimm mich, Große Mutter. Benutze mich nach deinem Willen.«
    Sanft lächelnd streckte die Frau eine Hand aus und legte sie Maya ganz sacht aufs Haar. »Nicht ich«, sagte sie. »Sie.«
    Und da endlich öffnete Maya ihre Augen und erblickte Sie-die-aus-den-wolken-herniedersteigt, Sie-mit -den-vielen-Namen, und sie streckte ihre mächtige Hand aus.
    »Willkommen!« dröhnte der Donner. »Willkommen zu Hause, Tochter, endlich!« schrillte der Blitz.
    »Willkommen!«
    Die Sonne funkelte an einem Himmel, der die Farbe ruhigen Flußwassers hatte. Nur wenige dünne graue Rauchfähnchen stiegen von den schwelenden Kohlen empor, die den Boden der Opfergrube bedeckten.
    Neben der Grube lag das Flechtwerk, auf dem das Opfer über dem Feuer liegen würde. Karibu führte seine Frau aus seinem Zelt und blinzelte in die gleißende Sonne, die die Welt in ihr unbarmherziges Licht tauchte.
    Das gesamte Bisonvolk war um den Schamanen versammelt, aus dessen häßlich aufgesperrtem Rachen Schlangenzähne ragten und Speichel troff.
    Selbst die Gefangenen sollten Zeugen des Rituals werden, gefesselt und von einer Gruppe starker Jäger bewacht.
    Karibu zögerte einen Moment verunsichert, doch Maya sagte: »Komm, Gatte.« Und dann war sie es, die ihn zu seinem Erstaunen hinunter zu der brennenden Grube führte.
    Das Volk machte schweigend eine
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