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Max Perplex

Max Perplex

Titel: Max Perplex
Autoren: Hen Hermanns
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winkte mir zu, und ich mußte weinen. Wenn ich später mal heulen wollte, um irgend jemand zu beeindrucken, mußte ich mir nur immer diese Szene vorstellen. Ich sah meinen Vater hinter der Trennscheibe, und schon heulte ich los.«
    »Und wie stehst du jetzt zu deinem Vater?«
    »Ich hasse ihn. Er ist ein Versager.«
    »Aber er verdient doch ’ne Menge Geld. Und er war mal ’ne ziemlich große Nummer bei der DALAG AG.«
    Schmitz brachte den Milchkaffee. Yvonne nahm einen Schluck. Sie hatte extrem knochige Handgelenke.
    »Ich meine, er ist ein emotionaler Versager«, sagte sie, »er kümmerte sich nie um uns, sondern nur um seinen Job und dieses Flittchen.«
    »Dieses Flittchen, wußtest du schon vor der Entführung davon?«
    »Nein, meine Mutter auch nicht. Wir haben das von der Polizei erfahren.«
    »Aber so was kommt doch vor, nicht wahr?«
    »Es kommt ’ne Menge vor. Aber ich kann es ihm nicht verzeihen.«
    »Wie war das denn für dich, als er entführt wurde?«
    »Zuerst war ich natürlich geschockt. Aber dann habe ich auch gedacht, daß wir ihn beerben würden, meine Mutter und ich. Ich meine, wenn sie ihn umgebracht hätten.«
    »Du sprichst ziemlich offen darüber.«
    »Soll er ruhig lesen, kannst du alles drucken lassen, er hat uns so allein gelassen, dieser Arsch.«
    »Was meinst du mit allein gelassen?«
    »Er war eben nie da, wenn ich ihn brauchte. Irgendwie habe ich ihm diese Entführung gegönnt, da hat er gekriegt, was er verdiente.«
    »Was machst du jetzt? Studierst du?«
    »Betriebswirtschaft.«
    »In Köln?«
    »In Würzburg.«
    »Dein Vater ist in der Wirtschaft, und du studierst auch noch Betriebswirtschaft?«
    Yvonne zuckte mit den Schultern und versuchte es mit einer zweiten Zigarette.
    »Sicher, klingt komisch. Aber ich mach das mit Schwerpunkt Marketing.«
    »Karriere in einer Werbeagentur?«
    »Warum nicht. Weißt du was Besseres?«
    »Nicht unbedingt. Hast du einen Freund?«
    »Nein.«
    »Kriegst du Geld von deinem Vater?«
    »Er gibt mir genau das, was mir zusteht. Ich verdiene mir was dazu.«
    Ich sah sie fragend an.
    »Ich mache Fremdenführungen in der Würzburger Residenz. Führe die Leute rum, sage mein Textchen auf. Ich konnte schon immer gut auswendig lernen, kein Problem.«
    Ich fragte mich, wie sie das mit ihrem Stimmchen hinkriegte. Diese Residenz mußte eine phantastische Akustik haben.
    »Und was machst du jetzt in Köln?«
    »Ich gehe mit meiner Mutter einkaufen. Klamotten. Meine Mutter kauft mir gern Klamotten. Das ist ihre Art, mir ihre Zuneigung zu zeigen. Kannst du auch ruhig schreiben. Sie kann’s nicht anders.«
    Sie drückte ihre Zigarette nicht aus, sie tötete sie ab. »Du bist nicht gerade glücklich mit deinen Eltern.«
    Sie lachte. »Das ist doch die Story, die du wolltest, oder? Die unglücklichen Kinder reicher Leute. Am Beispiel der beschissenen Familie Ziegler.«
    »Warum hast du dich denn dann auf dieses Interview eingelassen?«
    »Ich weiß es auch nicht. Ich war gestern nicht gerade in bester Stimmung. Dein Anruf hat mich abgelenkt. Vielleicht hat mir deine Stimme gefallen.«
    Sie sah mich mit ihren großen Audrey-Hepburn-Augen an.
    »Noch einen Kaffee oder so?« fragte ich.
    »Danke. Ich würde lieber was Spazierengehen.«
    Ich legte Schmitz einen Fünfziger hin, und wir gingen raus. Im Stadtgarten war business as usual. Herrchen und Frauchen waren mit ihren kackenden Monstern unterwegs, unter einem der schwarzkahlen Bäume zog ein esoterischer Frischluftfanatiker seine Tai-Chi-Übungen durch. Es war naßkalt und ungemütlich. Yvonne blieb plötzlich stehen, legte mir die Arme um den Nacken und steckte mir die Zunge in den Hals. Ich befreite mich, so sanft es ging. Ihre Arme fühlten sich an wie abgeknabberte Hühnerknöchelchen.
    »Was ist los?« fragte sie.
    »Nichts ist los. Nimm’s bitte nicht persönlich. Aber ich wollte nichts weiter als ein Interview von dir.«
    »Klar, nichts weiter als ein Interview. Das hast du ja jetzt.«
    »Ich hätte schon noch ein paar Fragen.«
    »Vergiß es.« Sie ließ mich stehen. Ihre teuren Fummel schlabberten an ihr herum. Sie konnte nicht viel mehr als 40 Kilo wiegen. Ich ging ihr nach. Sie verließ den Stadtgarten und stieg in der Göbenstraße in einen roten Fiat Panda ein.

    Ich ging nicht mehr in mein Büro, sondern setzte mich gleich in den Volvo und fuhr nach Hause. Die arme einsame Yvonne mit der Mickymausstimme. Mir wurde es kalt. Ich hatte keine Lust, im Auto Musik zu hören. Man sollte das Leben
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