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Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd
Autoren: Marijke Schnyder
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Rückenschmerzen wiederum hergezaubert, und zwar in vollem Ausmaß.
    »Es ist die Angst, die im Rücken hockt, Nore. Unsere Arbeit ist ungesund und daran wird sich nie etwas ändern.« Sie sah Bastian Bärfuss vor sich. »Aber versuch die Angst immer wieder zu packen. Du hast keine andere Wahl.«
    Nore Brand schaute den Direktor an, der seit geraumer Zeit seiner Fassungslosigkeit und Bestürzung sehr theatralisch Ausdruck gab. Vor diesem Mann brauchte sie keine Angst zu haben. Der Grund ihrer Schmerzen hatte dieses Mal einzig mit dem Stilmöbel zu tun.
    Konnte man von einem Hoteldirektor überhaupt verlangen, dass er ehrlich und tief um einen Gast trauerte?
    Als Nore Brand sich vorgestellt hatte, schien er für einen Augenblick um Haltung zu ringen. Welcher Hoteldirektor würde das nicht tun?
    Klara Ehrsam war die Witwe eines ›Industriekapitäns‹. So hatte sich der Hoteldirektor ausgedrückt. Aus Basel. Beste Adresse selbstverständlich.
    »Dabei war sie immer so bescheiden und freundlich.«
    Ja, es war sicher eine besondere Sache, wenn Reiche freundlich waren, dachte Nore Brand, sie nickte ihm aufmunternd zu.
    Der maßgeschneiderte Tweed-Anzug passte perfekt. Seine Gesichtshaut war rosig und frisch. Höhenluft, dachte sie mit einem Anflug von Neid. Er hing entspannt in seinem Ledersessel. Sein Körper schien verschont von seltsamen Schmerzen aller Art. Kein Wunder. Er saß modern und bequem, und das jeden Tag. Er musste gegen die 70 sein, ein junger 70er und er kam ihr sehr bekannt vor. Ein Mann seiner Sorte war nie ein Fremder. Sie hatte ihn unzählige Male gesehen.
    In amerikanischen Fernsehfilmen beispielsweise. Ein TV-Prediger-Gesicht. Gut genährte, fleischrosa Frömmigkeit.
    War dieser da fromm? Nore Brand warf den Gedanken in den stilvollen Papierkorb, der unter dem stilvollen Holztisch stand. Er hatte Löwenpfoten, der Tisch, nicht der Mann. Nein, dieser Mann studierte seine Buchhaltung genauer als die Bibel. Seine linke Hand klopfte auf einen großen Taschenrechner. Trotzdem, im Augenblick neigte sie dazu, ihm zu vertrauen. Vielleicht lag es am Anzug. Festes, gutes Material, mit weich gepolsterten Schultern und langer Tradition. Gütige Filmväter trugen diese Tweed-Anzüge. Oder Schulvorsteher. Letztere mussten nicht gütig sein, bloß gerecht.
    Sie überflog die Zeilen, die sie in ihr Notizbüchlein gekritzelt hatte. Oben auf der Seite stand ›Französischer Lehnsessel, geeignetes Folterinstrument, immerhin stilvoll‹, darunter ›Hoteldirektor trägt Tweed‹, ›klopft mit der linken Hand auf den teuren Taschenrechner‹, ›er ist bestürzt, aber weshalb genau?‹
    ›Panik, mindestens ein Anflug‹, kritzelte sie darunter und unterstrich das Wort ein paar Mal, bis das Wort auf einem dicken, schwarzen Balken stand.
    Sie spürte seinen Blick. Er machte kleine Redepausen, wenn sie schrieb.
    Ein aufmerksamer Mensch.
    Ihre Gedanken gingen zu Nino Zoppa. Er hatte während der Fahrt ins Dorf zurück den Polizisten Bucher inständig gebeten anzuhalten. Als sie sich umschaute, saß er nach vorne gebeugt, kreideweiß, mit der Hand vor dem Mund. Ihm sei kotzübel. Er müsse etwas essen gehen, seit gestern Abend hätte er nichts mehr zu sich genommen. Der Polizist hatte sie fragend angeschaut.
    »Halten Sie an.« Und zu Nino gewandt: »Ich fahre gleich ins Belvedere. Sie werden mich dort finden. Gehen Sie zuerst mal etwas essen.«
    Seit einer halben Stunde war sie nun im Büro des Direktors.
    »Wir haben die Familie selbstverständlich sofort benachrichtigt, nachdem wir erfahren hatten, was passiert war. Ihre Schwester wohnt in Bern. Ihr Sohn, er ist selbstverständlich auch in der Chemie tätig, in Basel natürlich«, er nickte bedeutungsvoll, »er kümmerte sich um alles. Er hat seine Frau geschickt. Sie bat uns, die Leiche nach Basel überführen zu dürfen.« Nach einer taktvollen Pause sprach er weiter. »Die Tochter lebt seit vielen Jahren in Johannesburg. Man weiß nichts von ihr. Sie hat sich nicht gemeldet.«
    Nore Brand kritzelte wieder in ihr Büchlein. ›Sohn in Basler Chemie, wo denn sonst, Schwester in Bern, Tochter in Johannesburg, warum?‹
    Immerhin verschaffte jedes Kritzeln ihrem müden Kopf eine Pause und sie hatte öfter die Erfahrung gemacht, dass sich die Menschen präziser ausdrückten, sobald sie glaubten, dass ihre Aussagen schriftlich festgehalten wurden.
    »Sie hätten Frau Ehrsam sehen sollen«, redete der Direktor weiter, mit feierlichem Ton in der Stimme, »friedlich sah sie
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