Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd
Autoren: Marijke Schnyder
Vom Netzwerk:
jemand vom Steg fällt, ertrinkt er nicht.«
    Bucher räusperte sich. »Vielleicht ist sie hinuntergeklettert, um die Enten zu füttern.«
    Sie suchte die Stelle mit den Augen ab. Fußabdrücke von Schaulustigen. »Wo lag sie?«
    »Da, rechts vorne.«
    Man sah gar nichts. Kein Wunder, schließlich waren seit dem Unfall drei Tage vergangen.
    »Haben Sie die Leiche im Wasser liegen gesehen?«
    Polizist Bucher schaute auf den See hinaus. »Der Doktor hatte sie schon ins Hotel gebracht, als man mich benachrichtigte.« Er zupfte nervös an seiner Jacke.
    »Hat man die Todesursache feststellen können?«
    Bucher zuckte mit den Schultern. »Herzstillstand oder Hirnschlag. Ich weiß nicht mehr, was der Doktor gesagt hat. Etwas Tödliches eben.«
    »Keine Fremdeinwirkung?«
    Bucher schüttelte den Kopf. »Keine äußeren Verletzungen, nein. Hat man mir jedenfalls gesagt. Vielleicht ist sie einfach ertrunken, vielleicht war sie tot, bevor sie im Wasser war. Etwas unüblich hier draußen, wo die Luft so belebend sein soll«, höhnte Bucher.
    Nore Brand schaute an ihm vorbei.
    Nein, hier ertrank man nicht so einfach.
    Bucher bedauerte es ganz offensichtlich sehr, um Unterstützung gebeten zu haben.
    »Wo hat man sie hingebracht?«
    Bucher wies mit dem Kinn zum Dorf zurück. »Ins Belvedere. Der Doktor hatte es so angeordnet. Schließlich war sie seine Patientin.«
    Nore Brand schaute über den See. Blässhühner und Stockenten zogen friedlich ihre Bahnen. Sie hatten gesehen, was sich an jenem Morgen früh hier ereignete. Falls Wasservögel außer Feind und Futter überhaupt etwas von dieser Welt wahrnahmen.
    Sie wandte sich wieder Bucher zu. »Ein dummer Unfall also.«
    Bucher nickte.
    »Um das festzustellen, hätten Sie uns nicht gebraucht.«
    »Ich bin für solche Sachen nicht ausgebildet«, erwiderte Polizist Bucher aufgeregt.
    Bucher holte ein großes Taschentuch hervor und schnäuzte sich heftig. »Ich habe viel zu tun. Ich kann nicht allen Sachen nachgehen. Letztes Jahr haben sie mir den letzten Kollegen weggenommen. Für dieses Dorf sei einer genug, hat mir der Chef geschrieben«, wetterte er in sein Taschentuch hinein. Sein Gesicht wurde rot vor Ärger. »Ich werde immer älter und soll immer mehr machen. Und jedes Jahr fresse ich mehr Medikamente.«
    Er knüllte das Taschentuch zusammen und stopfte es in seine Regenjacke. »Am Sonntagabend hat mich eine Ausländerin angerufen. Eine Angestellte des Hotels vermutlich. Sie war aufgeregt und hat dauernd etwas von einer verschwundenen Uhr erzählt, einer Bernstein-Uhr oder so. Frau Ehrsam habe einen Schock erlitten. Plötzlich hat sie aufgehängt. Ich konnte nicht mehr nach dem Namen fragen. Es war sicher so eine aus dem Osten.«
    Er schwieg und schaute auf seine Füße. »Sie hätte das dem Doktor melden können, oder etwa nicht?«
    »Ja, das hätte sie. Aber aus irgendeinem Grund hat sie Sie angerufen.«
    »Ich hatte den Eindruck, dass da etwas nicht ganz stimmt, deshalb habe ich die Sache dem Chef gemeldet. Frau Ehrsam soll Millionärin gewesen sein. Das habe ich nicht gewusst. Also musste man etwas tun, aber ich selbst kann mich da nicht einmischen. Wer soll dann meine Arbeit machen?«
    Das ist auch deine Arbeit, dachte Nore Brand.
    Immerhin hatte er für eine tote Millionärin eine Nummer gewählt. Das lief auf seinem Posten wohl unter ›bevorzugter Behandlung‹.
    Sie wandte sich ab.
    Er hatte ›einmischen‹ gesagt, er wolle sich nicht einmischen. Was für ein seltsames Wort in diesem Zusammenhang.
    Nino Zoppa stand etwas abseits. Sie sah, wie er eine Hand über dem Wasser ausgestreckt hielt. Eine Libelle näherte sich im tanzenden Flug, berührte seine Hand und flog weiter ins Schilf. Mit leuchtendem Gesicht verfolgte er ihren Flug. Nore Brand hörte Buchers verächtliches Schnauben, dann brummte er etwas von Kindsköpfen und vergeudeten Steuergeldern.
    Dieser Ort war wunderschön.

DIE VERSCHWUNDENE UHR
    »Wir sind bestürzt, wirklich sehr bestürzt«, wiederholte der Hoteldirektor unablässig. »Diese Woche wäre sie abgereist. Sie hatte sich doch so gut erholt. Sie kam jeden Herbst für drei Wochen. Manchmal schon im Sommer. Immer ging sie erfrischt nach Hause zurück. An Ostern war sie hin und wieder auch da. Dass sie ausgerechnet hier sterben muss.«
    Nore Brand schaute sich in der Eingangshalle des Hotels um. Überall dieses verspielte Dekor. Gold und Glanz einer vergangenen Zeit. Der französische Lehnsessel war nicht nur stilvoll, er hatte ihre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher