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Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Titel: Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Autoren: Charlotte Kern
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Prolog
    »Auf die Knie«, sagte er leise. Die Siedlung lag wie ausgestorben. Rundherum standen die Wohnblöcke wie Riesen und schauten ihm aus ihren leeren Fensterhöhlen zu. Hinter einer der blinden Scheiben saß sie seit Tagen im verqualmten Zimmer vor dem Fernseher und drückte eine Zigarette nach der anderen in ihrem leeren Joghurtbecher aus. Talking Italian. Aber eigentlich sagte sie gar nichts, hatte den Kontakt zu ihm abgebrochen.
    Der Junge sah ihn an. Er fröstelte in seiner dünnen Jacke. Jeans, billige Turnschuhe von Aldi. Noch ein Loser, Grieche, Siebtklässler, der die Schule schwänzte, weil er sowieso nur Sechsen schrieb. Er kannte seinen Namen nicht, hatte ihn ein paar Mal mit seinen kleinen Schwestern auf dem Spielplatz gesehen. »Du hast sie doch nicht mehr al…«
    Da zog er den Revolver aus seiner Jackentasche. Geschockt tat der Junge, was er verlangte, und ging auf dem Rand des Sandkastens in die Knie. Er war auch im Stehen kleiner. Jetzt ging er ihm gerade noch bis zur Brust. Von weitem sah er auf dem Dach des Mercedes-Benz Werks Mettingen den riesigen Stern, der sich sachte drehte. Der Tag war kühl und verhangen, der Spielplatz wie ausgestorben. Wind fing sich in der quietschenden Schaukel und pustete eine blaugelbe Lidl-Tüte über den Rasen.
    Die Waffe war kühl und schwer und lag in seiner Hand, als sei sie schon immer sein Eigentum gewesen. Das Gefühl, sie zu halten, schmeckte nach Macht.
    »Ist die geladen, Mann?« In den dunklen Augen des anderen lag Furcht. Respekt, dachte er. Es wurde Zeit, dass man ihm diesen entgegenbrachte.
    »Klar!«, sagte er.
    »Und was machen wir jetzt damit?« Fast hörte er die Tränen, die dem Jüngeren im Hals steckten.
    »Wir spielen.« Er trat einen Schritt näher, hob den Revolver und zielte. Das Herz, der Kopf, der Bauch. Es war ein Kinderspiel.
    »Was denn?« Der Kleine schaute angestrengt auf den Rand des Sandkastens.
    »Russisches Roulette. Kennst du doch, oder? In einer von den Kammern ist eine Kugel.« Er setzte die Mündung an die Schläfe des Jungen. Die Haut war hellbraun und zart und gab ein bisschen nach. Auf seiner Hose breitete sich ein dunkler Fleck aus.
    »Du stinkst.«
    »Ich will weg«, flüsterte der Kleine.
    »Kannst du aber nicht.«
    »Die ist nicht echt, oder?«
    »Du hast mich doch gehört.« Die Waffe zitterte nicht einmal in seiner Hand. Sein Pulsschlag war nicht einmal erhöht. Er war cool. Als er sie entsicherte, klickte es leise. Er kannte dieses Geräusch, denn sein Vater hatte das Spiel tausendmal mit ihm gespielt.
    »Ich sage es meinen Cousins, und die machen dich alle.«
    »Dann wird es zu spät sein.«
    »NEIN!«, schrie der Junge, aber er bewegte sich nicht.
    Er stellte sich vor, wie er schoss, wie Blut und Gehirn über den Sandkasten spritzten, einfach so. Sicher würden sie den Spielplatz sperren, ihn mit einem rotweißen Band sichern, wie sie es mit Baustellen taten. Dann kämen die Polizeitechniker in ihren weißen Anzügen und würden das Gelände durchsuchen, den Sand pfundweise durchsieben, bis sie das Projektil gefunden hatten. Kein Platz mehr für die Kinder der Siedlung, die sich am Zaun die Nase plattdrücken würden. Vielleicht würde es auch eine Gedenktafel geben oder so. Und nie könnten sich die Kinder später sicher sein, was sie im Sand alles fänden. Die Knarre klebte noch immer an der Schläfe des Jungen. Ich glaube, er heißt Athanassios, dachte er, und drückte ab. Kein Problem. Er hatte es im Blut.

1.
    Leonie Hausmann stand hoch oben im Kirschbaum und streckte sich nach den reifsten Früchten. Knapp unter dem Himmel, wo das Gewirr der Zweige nicht mehr ganz so dicht war, bogen sie sich unter dem Gewicht der obsidianschwarzen Kirschen. Auf dem obersten Ast saß ein Amselmännchen und sang sich die Seele aus dem Leib. Der Kirschbaum stand am Hang. Sein Stamm war so dick, dass Leonie ihn alleine nicht umfassen konnte, nicht einmal, wenn sie beide Arme ausbreitete. Ihr fehlten noch genau diese Kirschen in ihrer Marmelade, und sie würde sie nicht verkommen lassen. Niemals! Sie stieg auf die oberste Stufe der Leiter, wo es keine Holme zum Festhalten mehr gab, und stützte sich an der rauen Rinde des Baumes ab. Endlich waren die süßesten Früchte in Reichweite. Sie pflückte zwei der prallen Dinger und steckte sie in den Beutel, den sie um den Hals trug. Und noch mal drei und dann fünf.
    Doch die Konkurrenz schlief nicht. Leonie hielt den Atem an, als sich zwei Elstern, schwarzweiß wie die
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