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Mata Hari

Mata Hari

Titel: Mata Hari
Autoren: Enrique Gomez Carrillo
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Schwester, die den Nachtdienst hat, kniet und betet; ihr Wachsgesicht ist von dem flackernden Schein einer Nachtlampe beleuchtet.
    Der Hauptmann rüttelt die Verurteilte wach; sie reißt die Augen auf, versucht zu sprechen; sie richtet sich zum Sitzen auf, indem sie sich auf ihre rückwärts eingestemmten Fäuste stützt; in dieser Stellung hört sie den Offizier an, der in festem Ton, wenn auch nicht ohne Erregung, zu sprechen beginnt: – Zelle, zeigen Sie Mut, der Präsident der Republik hat Ihr Gnadengesuch verworfen, Ihre letzte Stunde ist gekommen. –
    Eine tiefe Stille tritt ein. Im Halbschatten sieht man nur zwei funkelnde Augen.
    Mit zunächst matter Stimme, die aber schnell erstarkt, wiederholt Mata Hari mindestens zehnmal: Das ist unmöglich, das ist unmöglich!
    Schnell gewinnt sie ihre Fassung wieder; Schwester Leonide bemüht sich um sie, beugt sich zu ihr herab, ermutigt sie. Mata antwortet:
    – Fürchten Sie nichts, liebe Schwester, ich kann sterben, ohne schwach zu werden, Sie sollen einen schönen Tod sehen. –
    Ich biete ihr zur Stärkung Riechsalz an. – Danke, lieber Doktor, sagt sie, Sie sehen, ich brauche es nicht. – Dagegen nimmt sie ein Glas Grog an, das ihr Dr. Bralez reicht. Dann beginnt sie sich anzukleiden oder vielmehr sie läßt es zu, daß man sie ankleidet, wobei die meisten Anwesenden rücksichtsvoll hinausgehen.
    Ich bleibe in der Nähe; sie liegt noch im Bett; man reicht ihr die Kleidungsstücke; ihr Hemd, nicht aus grober Leinwand, wie man behauptet hat, sondern aus dem Bestand ihrer eigenen Leibwäsche, die man ihr belassen, hebt sich bei einer Bewegung und entblößt ihren Körper. Eine Nonne will sich deckend vor sie stellen: – Oh, lassen Sie nur, liebe Schwester, die Scham hat in diesem Augenblick hier nichts mehr zu suchen – sagt sie ablehnend.
    Nach und nach nimmt Mata Haris Gesicht einen harten und zornigen Ausdruck an; während man fortfährt sie anzukleiden, hält sie andauernd Selbstgespräche: – Diese Franzosen! ... Wenn ich nur wüßte, was es ihnen nützen soll, mich aus der Welt zu schaffen ... Wenn sie damit wenigstens den Krieg gewinnen könnten! ... Nun, sie werden ja sehen! ... Darum also habe ich mich ihretwegen so abgemüht ... ich, die ich gar nicht Französin bin ...
    – Liebe Schwester, bitte, geben Sie mir mein wärmstes Kleid, ich fühle, es ist heute morgen recht kalt. Geben Sie mir auch meine hübschen, kleinen Schuhe; gut beschuht zu sein, dafür habe ich immer gesorgt. Während dieses Gespräches pudert sich die Tänzerin in aller Ruhe. Dann sagt sie plötzlich ernst: – Ich habe mit dem Pastor zu sprechen. –
    Pastor Darboux nähert sich; er erbittet ein wenig Wasser; man füllt einen Gefangenenbecher, er nimmt ihn mit zitternder Hand. Auf seinen Wunsch läßt man ihn allein mit der Tänzerin. So empfing offenbar Mata Hari in extremis die Taufe.
    Während diese höchst einfache Zeremonie vor sich geht, bleibe ich in Gesellschaft Clunets vor der Tür der Zelle.
    – Ist es nicht ein Jammer, sagt der ehrwürdige Rechtsgelehrte, sehen zu müssen, wie man in der Blüte der Jahre solch eine Frau tötet: sie war doch eine starke Intelligenz; es wäre wahrlich besser gewesen, man hätte es verstanden, sich ihrer Fähigkeiten zum Nutzen unseres Landes zu bedienen, statt sie auf diese Weise zu beseitigen! –
    In diesem Augenblick öffnet sich die Tür; der Pastor, die Augen voller Tränen, tritt heraus; stumm fordert er uns auf, wieder einzutreten.
    Mata, kerzengerade, ohne Stütze, mit stolzer Miene, steht empfangsbereit in der Mitte des Zimmers. Sie trägt ein elegantes blaues Kostüm mit langer Jacke, weiß eingefaßt; auf dem Kopf bereits einen Hut mit breiter Krämpe und Straußfedern; in aller Ruhe zieht sie ihre Handschuhe an.
    – Ich bin bereit, sagt sie mit Bestimmtheit, dann wendet sie sich zunächst an mich: – Ich danke Ihnen noch ein letztes Mal, lieber Doktor, für alle Ihre Mühe und Fürsorge. – Dann an Schwester Leonide: – Ich bin viel gereist, liebe Schwester; nun also, diesmal trete ich meine letzte Reise an. Ich fahre nach dem großen Bahnhof, der keine Rückkehr kennt ... Liebe kleine Mutter, sehen Sie mich an und tun Sie wie ich, weinen Sie nicht! –
    Ein Offizier nähert sich ihr und fragt sie, wie das Gesetz es verlangt, ob sie noch etwas zu sagen habe.
    – Nichts, versetzt sie trocken – und wenn dem so wäre, würde ich, wie Sie sich wohl denken können, es für mich behalten.
    Das Gesetz verlangt ferner, daß
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