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Masala Highway

Titel: Masala Highway
Autoren: Gabriel A Neumann
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Ackerbau. Hungerkrisen gehören in Indien seitdem der Vergangenheit an, im Gegenteil: Das Land ist heute Weizen- und Reisexporteur. Der Preis dafür war aber hoch und wird bis heute abbezahlt: Viele ehemals fruchtbare Böden sind durch falsche Behandlung verloren, zum Beispiel durch den Verlust der fruchtbaren Ackerkrume oder gesunkene Grundwasserspiegel.
    Das Straßenstück, an dem wir bauen, gehört zu einer Musterfarm des Entwicklungshilfeprojekts. Die große ebene Steinfläche eignet sich hervorragend, um Getreide zu dreschen oder Feldfrüchte zu trocknen. „Vor allem können die Dorfbewohner hier sehen, was möglich ist. Nein, was ein paar Leute möglich machen können, wenn sie zusammenarbeiten“, sagt Jona. Das gilt auch für die anderen Projekte der Farm: Auf den Feldern um das Haus werden Pflanzen angebaut, die Bauern nicht nur kurzfristigen Gewinn bringen. Eine Anlage auf lange Sicht sind zum Beispiel Teakbäume. Die können zwar erst nach Jahrzehnten gefällt werden, erhöhen aber den Wert des Landes, auf dem sie stehen, und schützen vor Erosion. Seitdem sind weitere Projekte mit Modellcharakter hinzugekommen: Regenwasserspeicher oder ein Feld, auf dem Seidenraupen gezüchtet werden, biologische Landwirtschaft – Schritt für Schritt wird die Farm ausgebaut.
    Während ich mit zwei anderen Teilnehmerinnen aus Deutschland einen Haufen Kies, einen Zementsack und Wasser mit Schaufeln zu einem zähen, grauen Brei zusammenrühre, kommen einige Dorfbewohner vorbei. Sie lachen, als sie uns sehen. Unsere Kleider und Haare sind dreckig, und der Anblick körperlich schuftender weißer Frauen ist für sie besonders interessant. Die Jungs sprechen nur Marathi, verstehen aber nach einigem Gewinke von uns dreien, dass wir jede Hilfe gebrauchen können – und halten sich in sicherem Abstand. „Na klar, nur gucken, nicht anfassen!“, spottet eine meiner Mit- Mischerinnen. Ein paar junge Inderinnen, die später vorbeikommen, reagieren ganz anders. Nachdem sie mit einer der Mitarbeiterinnen vom Ecumenical Sangam gesprochen haben, warten sie nicht lange, schieben die bunten Schals über ihren Schultern zurecht und packen mit an.
    Sie gehören zu den Schülerinnen, die die Nähschule besuchen, die der Sangam in dem Haus eingerichtet hat. So wie sie sich ans Werk machen, merkt man, dass die Mädchen – alle unter zwanzig – normalerweise nicht nur mit Nadel und Faden arbeiten. Anders als wir schaffen sie es, ihre schönen Kleider dabei nicht zu beschmutzen, und versprühen sogar noch jede Menge gute Laune.
    Abends, als wir zurück in Nagpur sind, erzählen wir Jona von unseren Erlebnissen. Es sei bezeichnend, dass es die Mädchen gewesen seien, die mitgeholfen hätten. „Frauen sind offener für Neuerungen und interessieren sich dafür, wie man Dinge verbessern kann“, sagt er. Deswegen richteten sich die Ausbildungsangebote des Ecumenical Sangam überwiegend an Frauen.
    „Und was hat Nähen mit Landwirtschaft und Wassermangel zu tun?“, frage ich zurück. „Brunnen und Wassersammelbecken für die Bewässerung zu schaffen, ist nur ein Schritt zur Verbesserung der Lebensbedingungen“, antwortet Jona. Entwicklungshilfe wie die von Ecumenical Sangam müsste auch soziale Sicherheit schaffen, denn sonst könnten einzelne Erfolge von unvorhergesehenen Ereignissen schnell zunichte gemacht werden. Soziale Sicherheit sei aber am besten zu erreichen, wenn man Frauen unterstütze.
    Am nächsten Tag lerne ich die Nähschule und den angeschlossenen Kindergarten in Bamhani besser kennen. „Die Mädchen hier können sich besser verheiraten lassen, wenn sie eine einfache Ausbildung haben“, erklärt mir die Mitarbeiterin, die die Schule betreut und uns während unserer Mittagspause – es gibt Reis, Dal und Gemüse – die Einrichtung zeigt. In Indien sind es meist die Eltern, die entscheiden, mit wem ihre Kinder die Ehe eingehen. 1 Bei der Auswahl spielen die Kastenzugehörigkeit und die Position der Gestirne zum Zeitpunkt der Geburt von Braut oder Bräutigam eine Rolle, aber bei den Heiratsverhandlungen wird auch über Geld gesprochen. Selbst wenn die Eltern des Bräutigams darauf verzichten, eine Mitgift, die Dowry, zu verlangen, erwarten sie von der Schwiegertochter in spe, dass sie ihren Beitrag zum Familieneinkommen leistet. Und das kann eine junge Frau, die ein Zubrot als Näherin verdient, besser als eine, die nur als Haushaltshilfe im eigenen Heim arbeitet.
    Die Tradition der Dowry, mit der vor hundert Jahren
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