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Masala Highway

Titel: Masala Highway
Autoren: Gabriel A Neumann
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Überdüngung sowie fehlende Kläranlagen machen ihn zur langsam, aber stetig strömenden Bakterienkultur. Die erste Leiche, die ich in meinem Leben sah, war ein aufgedunsener Männerkörper im Ganges, ein Toter, dessen Familie wohl nicht genug Geld für eine Feuerbestattung hatte aufbringen können, und der nun an mir und den Tempeln von Benares vorbei seiner Erlösung entgegentrieb. Die Lebenden aber empfingen mich mit einer so selbstverständlichen Gastfreundschaft, wie ich sie in Europa selten erlebe. Das prägt.
    Ich kam wieder. Natürlich nach Benares, aber auch nach Rajasthan, dem Wüstenstaat im Nordwesten, und in den Süden, wo man Essen auf großen Bananenblättern serviert bekommt. Die Wege auf meinen Reisen durch den Subkontinent waren so vielfältig wie das Land: In Hampi hatte ich mir Chappale, indische Flip-Flops mit Sohlen aus alten Autoreifen, machen lassen. Später, als Reisebuchautor auf Hotelund Kulturrecherche, waren Oxfords aus Lammleder im Gepäck. In Bombay und Bangalore sind Turnschuhe das beste Mittel, unter den Glücklichen der neuen Mittelschicht nicht aufzufallen. Und für Wanderwege wie in den Höhenzügen Karnatakas packe ich mir Trekkingschuhe ein.
    In den eineinhalb Jahrzehnten, die ich Indien als Reisender kenne, hat sich das Land verändert. Aus Wegen, auf denen früher nur Ochsengespanne fuhren, sind Highways geworden. Geblieben ist die Mischung, der Reiz der Gegensätze – und oft hat die Veränderung die Vielfalt sogar verstärkt. Indien, das sich anschickt, eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt zu werden, geht auf die Überholspur, und findet nichts dabei, westliche Vorstellungen mit traditioneller Spiritualität zu vermischen. Kommen Sie mit auf den Masala Highway, schmecken Sie die Vielfalt eines Landes. Und vergessen Sie nicht: Sie können sich nicht vorbereiten.
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    1 Der offizielle Name der Metropole an der Westküste Indiens lautet Mumbai – ein Beispiel für viele Namensänderungen indischer Orte und Straßen, die der indische Staat in den letzten Jahrzehnten verordnete. Im Alltag – dem deutschen wie dem indischen – werden die alten Bezeichnungen aber weiter verwendet. Wo keine Verwechslungsgefahr besteht, folgt dieses Buch dem Sprachgebrauch.

Die Zeit läuft anders auf Bahnsteig B
    Ein Bahnhof einer mittelgroßen Stadt, irgendwo in Maharashtra, in der Mitte des Subkontinents. Ein Nachtzug hat mich hierher gebracht, jetzt suche ich den Anschlusszug. Der, steht auf dem Ticket und im Reiseführer, geht eineinhalb Stunden später von hier ab. Aber von welchem Bahnsteig? Auf diesem hier liegen nur drei Kühe und einige Ziegen in der Mittagshitze, die meisten Reisenden, Teeverkäufer und Gepäckträger sind verschwunden, als der Zug, mit dem ich angekommen bin, weiterfuhr. Die Durchsagen aus den Lautsprechern klingen blechern und sind für mich nicht zu verstehen. Vermutlich ist es eine Mischung aus Englisch und Marahti, was da über den Bahnsteig hallt. „Train to Nagpur?“, frage ich einen Herrn mit dicken Brillengläsern, der mir empfiehlt, es doch im Hauptgebäude zu versuchen. Also schultere ich die siebzehn Kilo meines Rucksacks, was sich in der Hitze so anfühlt, als würde ich ein Sofa schleppen, und mache mich auf den Weg: die Stufen hinauf zu dem überdachten Fußgängerüberweg, der sich über die Gleise des Bahnhofs streckt, wieder hinunter zum Hauptgebäude. Eine Anzeigentafel oder einen Fahrplan finde ich dort auch nicht, aber drei hilfreiche Herren, die in einer Schlange vor dem Fahrkartenschalter stehen. Zwei von ihnen sind sich einig, dass die Züge nach Nagpur auf Bahnsteig B abfahren. „No problem!“. Kein Problem – diese zwei Worte sind viel zu häufig der Hinweis darauf, dass es doch eines gibt. In diesem speziellen Fall können sie beispielsweise bedeuten, dass die Herren eigentlich keine Ahnung haben, wo mein Zug abfährt, aber vermeiden wollen, mich mit einem „Weiß ich doch nicht“ abzuspeisen. „No problem“ kann auch heißen, dass sie meine Frage nicht genau verstanden haben, aber ein wenig mit ihren Englischkenntnissen auftrumpfen wollen. Schließlich könnte „No problem“ auch meinen, dass – wenigstens aus der Sicht des Sprechenden – wirklich kein Problem vorhanden ist: entweder, weil der Zug wirklich von Gleis B abfahren wird, oder, weil ein verpasster Zug ja kein Weltuntergang wäre. In dieser dritten Kategorie der Problemlosigkeit kann in einem zugerufenen „No problem“ der dezente Hinweis
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