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Masala Highway

Titel: Masala Highway
Autoren: Gabriel A Neumann
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Masala Highway
    Meine Freundin ist entsetzt. Dabei kann sie sonst nichts so leicht aus der Fassung bringen. Die nächtliche Ankunft im schwül-klebrigen Flughafen von Bombay 1 , die scheinbar nicht enden wollende Taxifahrt durch dunkle Vororte, die abblätternde Farbe im Badezimmer unseres ersten Hotelzimmers: Mit einem „Was soll's, morgen ist ein neuer Tag“ kommentiert sie den wenig einladenden ersten Eindruck, der so gar nicht an die bunten Bollywood-Szenerien erinnert, und todmüde von der Zwölf-Stunden-Reise schlafen wir ein.
    Der Schock kommt am nächsten Morgen. „Ich krieg’ die Krise!“, ruft sie und kann das Gehupe der Autos, das Geschnatter der Verkäufer und die allgemeine Kakophonie der Straße doch nicht übertönen. Vor ihre Füße spuckt ein Typ im Businesshemd etwa einen Viertelliter Blut. Eigentlich ist es nur Paan, das Nationallaster Indiens, eine Mischung aus Arekanuss und Kautabak, das hübsch auf einem knallgrünen Betelblatt serviert wird, manchmal verziert von einer hauchdünnen Schicht Blattsilber. Kaut man es, zieht das Betel alle Säfte des Körpers im Mund zusammen, färbt Speichel und Zähne rot wie die Testtabletten in der Zahnpastawerbung – und bald auch den Bürgersteig. Bettler strecken ihre Hand nach uns aus und zupfen uns am Ärmel, zwischen den Autos bittet ein Mädchen im Kindergartenalter mit einem winzigen Säugling im Arm um ein paar Rupien. Tausend durchdringende Blicke scheinen sich auf uns Neuankömmlinge zu richten. Dann ist da der Geruch. Bombay stinkt nach Abfall und Autoabgasen und duftet nach der tropischen Feuchtigkeit des letzten Monsun, den Gewürzen in den scharfen Samosas, dem zuckersüßen Kulfi und den vielen anderen Leckereien, die an der Straße zubereitet werden. Auf Indien kann man sich nicht vorbereiten. Viele drehen um, kaum dass sie angekommen sind, weil sie die Flut der tausend Reize nicht ertragen, die plötzlich auf den Besucher einbrechen. Nicht allein die Zahl der Eindrücke ist es, was so erschöpfend wirkt. Es ist das Nebeneinander von Unvereinbarem, das jedes „Kenn’ ich schon!“ als lächerlichen Selbstbetrug entlarvt: ärmliche Hütten und Märchenpaläste, Slums zu Füßen von Hochhaustürmen der Großkonzerne, Prüderie und Eunuchen, die in Frauenkleidern Götter spielen – könnte man Länder schmecken, der Subkontinent würde nie langweilig werden, so viele Kostproben man sich auch genehmigt. Indien ist eine einzigartige Mischung der gegensätzlichen Ingredienzien, ein Masala für eine besonders gut gewürzte Portion Leben. Bei der großen Vielfalt, die Land und Leute bieten, kann nicht immer alles munden, was man versucht. Aber was bleibt, ist kein schlechter Nachgeschmack – im Gegenteil, Indien macht Appetit auf mehr.
    So geht es mir, seit ich zum ersten Mal Indien besuchte. Und glücklicherweise hat auch meine Freundin den Schock der ersten Tage schnell überwunden. Wenigstens eine der vielen Sprache – allein achtzehn offizielle zählt das Land – wollte ich lernen, als ich Anfang 1996 zum ersten Mal das Land besuchte. Eineinhalb Jahre Vorbereitung in Deutschland waren meiner Reise vorangegangen, an der Universität Heidelberg hatte ich etwas Hindi gelernt und einige Kurse zur indischen Geschichte besucht. Beides wollte ich in Benares, bei einer Lehrerin der dortigen Hindu University, vertiefen. Ausgerechnet Benares, das heute offiziell Varanasi heißt und dessen alter Name Kashi lautet, die Stadt des Lichts. Ein Licht, das nicht nur wärmt – für mich waren die Wochen dort eine Feuertaufe. Ich weiß nicht, was faszinierender war: die Rikschawallas, die unverschämte Preise verlangten, die auf ein Zehntel sanken, sobald sie mich auf Hindi sprechen hörten, und auf ein Zwanzigstel, wenn mein Zielort keiner der von Touristen besuchten Plätze war? Oder das Labyrinth der Altstadtgassen, die auch heute noch so wirken, als hätten sie sich seit Jahrtausenden nicht verändert, mal abgesehen von den dröhnenden Stromaggregaten, die mit Dieselgeruch bei Stromausfall für Licht und Lärm sorgen?
    Benares ist der heiligste Ort der Hindus, denn wer hier, an den Ghats, den Stufen am Ufer des heiligen Flusses Ganges, nach dem Tod verbrannt wird, hat gute Chancen, im nächsten Leben in einer besseren Kaste wiedergeboren zu werden – oder sogar ins Nirwana einzugehen. Ein Bad im Ganges, glauben Hindus, wäscht von Sünden rein. Zugleich ist der Fluss einer der verdrecktesten in ganz Indien. Chemieund andere Industrieabwässer,
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