Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Masala Highway

Titel: Masala Highway
Autoren: Gabriel A Neumann
Vom Netzwerk:
Neuvermählten in Form von ein paar Töpfen und Textilien ein Fundament für den gemeinsamen Haushalt gegeben wurde, ist der Grund für eines der schwerwiegendsten sozialen Probleme Indiens. Denn mit ein paar Rupien ist es bei der Mitgift nicht getan. Nicht wenige Bräutigamsfamilien erwarten Klimaanlagen, Motorräder, Fernseher und andere Unterhaltungselektronik – die Wunschlisten erreichen beliebige Länge. Um so eine Supermitgift zusammenzukaufen, müssen die Familien der Braut hohe Kredite aufnehmen, die sie nie zurückzahlen können. Daher ist die Dowry-Praxis eigentlich seit fast einem halben Jahrhundert verboten. Doch ein Blick in die Heiratsanzeigen einer indischen Zeitung zeigt, dass die ins Absurde entglittene Tradition nach wie vor sehr lebendig ist. Unter „Husbands wanted“ ist immer wieder zu lesen: „No dowry, please!“.
    Viel zu häufig nimmt die Tragödie um das Geschäft mit der Mitgift seinen Lauf, wenn die Hochzeit vorüber ist und Dowry samt Braut im Haus der Familie des Bräutigams verschwunden sind. Immer wieder kommt es zu nachträglichen Forderungen, weil die Familie glaubt, nicht genug für ihren Sohn erhalten zu haben – oder plötzlich bemerkt, dass andere Töchter noch zahlungsfähigere Eltern haben. Kommt es zu keiner Nachzahlung, geschieht der Braut oft ein Haushaltsunfall: Treppenstürze und explodierende Gasherde fordern unter jungen Ehefrauen Indiens auffällig viele Opfer. Dahinter stecken Ehemänner, Schwiegerväter und sogar Schwiegermütter, die die jungen Frauen verprügeln oder mit Säure beziehungsweise brennendem Benzin übergießen. Das Gesetz gegen häusliche Gewalt, in Kraft seit 2005 und auch wegen der Brautmorde erlassen, bringt einen Überblick über die aktenkundig gewordenen Fälle: Nach etwas über einem Jahr hatte sich die Anklage bereits achttausend Mal auf dieses Gesetz gestützt. Vermutlich deutlich höher ist die Dunkelziffer der nie angezeigten Fälle: Die frühere Ministerin für Frauen und Kinder, Renuka Chowdhury, sagt, dass jährlich etwa sechstausend Frauen in Indien durch Anschläge in ihren Familien umkommen.
    Da das Verbot der Mitgift allein nichts gebracht hat, setzt man heute darauf, die jungen Frauen zu unterstützen. Hier kommen Projekte wie die Nähkurse in Bamhani ins Spiel. Je mehr eine Frau fähig ist, selbst Geld zu verdienen, umso niedriger ist die Dowry, die für ihre „Übernahme“ verlangt werden kann – und umso mehr wird sie vor Übergriffen durch ihre neue Familie geschützt sein. Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind, bietet Ecumenical Sangam eine Beratungsstelle an: Eine Sozialarbeiterin und zwei Kolleginnen hören zu, klären die Frauen über ihre Rechte auf und schlagen Wege der Vermittlung vor. Die Existenz der Beratungsstelle bringt das Thema ins Bewusstsein der Dorfbewohner, Täter können nicht mehr damit rechnen, dass niemand nachfragt, wenn sich ein Opfer auffällig verhält – auch das schützt Frauen vor Gewalt.
    Auch der Kindergarten des Ecumenical Sangam ist mehr als ein Hort. Am Nachmittag werde ich Zeuge, wie die Kleinen eine Art Vorschulunterricht erhalten. Diese Kinder, erfahre ich, sollen später, wenn sie in die Grundschule kommen, so gute Schüler sein, dass sie dort leichter Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Das erhöhe ihre Chancen, eine weiterführende Schule besuchen zu dürfen. Selbst wenn dies nicht möglich sein sollte, weil sie früh zum Unterhalt der Familie beitragen müssen, wären sie dann wenigstens keine Analphabeten, erklärt mir die Kindergärtnerin in gebrochenem Englisch. Je höher aber der Bildungsstandard, desto mehr wissen Menschen um die eigenen Rechte und sind bereit, mit Traditionen zu brechen – auch mit dem Dogma der bis in den Tod gehorsamen Ehefrau und Schwiegertochter. Ebenfalls problematisch für die Stellung der Frau in Indien ist ein Hindu-Ritual bei der Totenbestattung. Der Tod wird von Hindus nicht nur als das Ende des Lebens, sondern als wichtige Station im immer wiederkehrenden Kreis von Geburt, Sterben und Wiedergeburt angesehen. Es sind die Söhne, denen die Aufgabe zufällt, die Gebete und Rituale bei der Feuerbestattung des Vaters durchzuführen, und den Ahnen zu opfern. Dies ist ein weiterer Grund, warum viele Hindu-Väter großen Wert darauf legen, dass ihnen ihre Frauen keine Töchter, sondern Söhne gebären. Überdies hat man nicht beliebig viele Versuche: Zum einen weil eine große Zahl von Töchtern irgendwann ja auch die Ausrichtung entsprechend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher