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Masala Highway

Titel: Masala Highway
Autoren: Gabriel A Neumann
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läuft der Fernseher. Die Frauen setzten sich in einem Halbkreis auf den Lehmboden um die Schwester herum, die farbig bedruckte Tafeln von der Größe eines Schreibbogens aus der Tasche holt. Mit solchen „Flashcards“ wird Aufklärungsunterricht gegeben – über Verhütung, wie man sich vor der Ansteckung mit dem HI-Virus schützt, aber auch zu Hygienefragen und wie lange man Wasser kochen muss, bis man es ohne Bedenken einem Säugling zu trinken geben kann. Etwas verlegen kichern die Frauen, immer wieder zupfen sie sich die Tücher über ihren Köpfen ein bisschen tiefer in die Stirn. Ich verstehe und verziehe mich vor die Hütte – die Anwesenheit eines Mannes macht den Unterricht für die Sangam-Helferin nicht leichter. In Erinnerung behalte ich aber das Interesse in den Augen der Dorffrauen, als die Schwester die Flashcards aus der Tasche holte.
    Mückensalbe zu überreichen und Anleitungen zum Händewaschen zu erteilen, mag nicht spektakulär klingen. Doch die regelmäßigen Besuche der Gesundheitshelferinnen, die Anlaufstellen des Ecumenical Sangam in Bamhani, Nagpur und inzwischen auch in drei anderen Dörfern bilden für viele Angehörige der armen Landbevölkerung die einzige Möglichkeit, Vertrauen aufzubauen und Gelerntes nicht gleich wieder zu vergessen.
    Eine zentrale Rolle spielen Frauen auch bei einem anderen Projekt, das der Ecumenical Sangam betreibt, wobei er ein ähnliches Muster wie viele vergleichbare Organisationen in Indien verfolgt. Seit 2008 werden den Absolventinnen der Nähschule Kleinstkredite angeboten. Bei den Krediten geht es um Summen von dreißig, vielleicht fünfzig Euro – für uns nicht viel Geld, doch in einem indischen Dorf ein kleines Vermögen. Jede, die einen solchen Kredit beantragt, muss an einer einfachen Einführung in Geschäftsführung teilnehmen. Wie plane ich ein Unternehmen, wie gewinne und halte ich Kunden, was ist der Unterschied von Umsatz und Gewinn? So vorbereitet, können die Frauen eigene Mini-Unternehmen gründen: Das Darlehen – über die Vermittlung der Deutsch-Indischen Zusammenarbeit stellte das Hessische Wirtschaftsministerium Geld zur Verfügung – ermöglicht zum Beispiel den Kauf einer Nähmaschine und von Stoffen. So können die Frauen den Grundstein für ihren eigenen persönlichen Erfolg legen – und geben dabei ihrer ganzen Familie die Zukunftssicherheit, die sie braucht. Mit dem Geld, das so zusätzlich verdient wird, können auch Dürreperioden und Missernten überbrückt werden, die sonst eine ganze Großfamilie ins Elend stürzen würden.
    Die Idee der Mikrokredite ist nicht nur nobelpreisverdächtig – einer ihrer bekanntesten Fürsprecher hat ihn bereits bekommen. Muhammad Yunus, der 2006 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, gründete 1983 in Bangladesch die Grameen Bank. Armut könne besser von unten anstatt mit Hilfe großangelegter staatlicher oder internationaler Förderprogramme bekämpft werden, befand er. Bald erwies sich, dass seine Bank das Geld häufiger wiedersieht, wenn die Kredite an Frauen vergeben werden. Die Bank zahlt die Beträge nicht an Einzelpersonen aus, sondern an Gruppen von fünf Männern oder Frauen, die füreinander bürgen. Nicht alle Gruppenangehörigen erhalten sofort ihren Anteil, sondern erst, wenn die ersten beiden Kreditnehmer mit der Rückzahlung begonnen haben. So wird sichergestellt, dass die Darlehen tatsächlich investiert werden. Die Vergabepraxis führte zu einem deutlichen Hinweis darauf, wer die besseren Unternehmer sind: Etwa 95 Prozent der Kreditnehmer der Grameen-Bank sind heute weiblich.
    Nach zwei Wochen ist die letzte Gamilla über der Trasse ausgeleert und der Zement getrocknet. Ganz fertig geworden sind wir nicht, doch wir wissen, dass die Leute von Bamhani beenden werden, was wir gemeinsam begonnen haben. Ein paar Freundschaften habe ich geschlossen, wie mit Siddarth, mit dem das Arbeiten auch ohne Worte Spaß machte. Heute kommt es mir fast so vor, als verhielte es sich mit dem, was der Ecumenical Sangam in den letzten zehn Jahren aufgebaut hat, ähnlich wie mit unseren Erfahrungen bei dem Bau der kurzen Straße. Nicht immer ist abzusehen, ob ein Projekt die erhoffte Wirkung erzielt. Nicht alles wird sofort und gleich fertig – allerdings auf jeden Fall schneller, wenn Frauen mit von der Partie sind. Aber auch wenn einmal etwas nicht so gut klappt: Die Straßen, Auffangbecken, Schulgebäude sind nicht der Kern der Entwicklungsarbeit, auch wenn Dinge wie diese zur Verbesserung
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