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Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht

Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht

Titel: Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht
Autoren: R Doyle
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Gesicht – riesige Augen starrten sie an, und die Zunge würde ihr gleich …
    »Es ist nur eine Kuh«, sagte Tansey.
    »Ja, aber was hat die hier zu suchen?«, sagte Mary.
    »Was sollte sie nicht hier zu suchen haben?«, sagte Tansey. »Das arme alte Ding schaut bloß über die Hecke.«
    Sie hörten Emer schnaufen, als wäre sie soeben aufgewacht.
    »Genauso habe ich es als kleines Mädchen erlebt », sagte sie.
    »Ich auch!«, sagte Scarlett.
    »Psssst!«
    »An genau derselben Stelle.«
    »Aber genau dieselbe Kuh kann es wohl nicht sein«, sagte Emer. »Oder?«
    »Bestimmt nicht«, sagte Tansey. »Wie auch? Wenn es dasselbe Tier wäre, müsste es fast hundert Jahre alt sein.«
    »Dann hat sie es eben erlernt«, sagte Emer. »Die Kühe haben dieses Verhalten über die Jahre weitervererbt.«
    »Von Kuh zu Kalb.«
    »Vielleicht ist es der Geist einer Kuh.«
    Mary konnte den warmen Atem des Tiers auf ihrem Gesicht spüren.
    »Nein«, sagte sie. »Die ist echt.«
    Sie blickte zu Tansey.
    »Atmest du, Tansey?«
    »Nein, Gott sei Dank nicht«, sagte Tansey.
    Sie hörten Scarlett lachen.
    Das große Gesicht der Kuh schwebte immer noch vor Mary. Sie konnte jetzt viel mehr sehen, die Hecke und den Körper der Kuh dahinter. Den Zaun gab es also nicht umsonst. Das war jetzt lustig, sogar niedlich. Die großen Augen waren wunderschön. Mary sah, wie das Mondlicht sich darin spiegelte, zwei winzige Monde, einer in jedem Auge. Sie streichelte der Kuh über die Nüstern.
    »Der ist irgendwie ganz weich.«
    »Sie«, sagte Tansey. »Dieses Biest ist ein Weibchen.«
    »Oh, das sind die besten Biester doch immer«, sagte Emer.
    Mary tätschelte die Kuh erneut, und die Kuh drückte ihr Maul fester in Marys Hand. Es fühlte sich an wie Hallo sagen, sie willkommen heißen.
    »Gehen wir weiter«, sagte Tansey – flüsterte sie.
    »Mach’s gut, Kuh«, sagte Mary.
    Weil die Kuh sich nicht bewegt hatte, musste sie ihrem Kopf ausweichen. Sie konnte ihre Mutter weiter voraus flüstern hören.
    »Abbiegung Nummer fünf!«
    Mary und Tansey hielten sich immer noch an den Händen. Tanseys Hand war kalt, aber gut – weich und sanft. Wann immer Mary in ein Schlagloch zu treten oder über einen Stein zu stolpern drohte, schienen Tansey Finger einen leichten Druck auszuüben, um sie zu warnen. Die Bäume über ihren Köpfen waren verschwunden, deshalb konnte sie jetzt besser sehen. Ein fahles, schwaches Leuchten schien hinter den Hecken zu liegen, als gelänge es ihm nicht, darüberzuklettern und den Weg zu erhellen.
    »Abbiegung Nummer sechs!«
    »Jetzt ist es wirklich nicht mehr weit.«
    Mary hatte noch nie Hofgelände betreten. Sie war noch nie auf einem echten Bauernhof gewesen.
    »Abbiegung Nummer … sieben!«
    Trotzdem hatte sie das Gefühl, zu wissen, wohin sie ging, dass sie das schon früher getan hatte, dass ihr die Gerüche – Rinder, Hühner, Fuhrmaschinen, Öl, Hunde – restlos vertraut waren.
    Beinahe wäre sie in ihre Mutter gestolpert.
    »Entschuldigung.«
    Ihre Mutter, noch immer mit ihrer Mutter auf dem Rücken, war vor dem Gattertor zum Hof stehen geblieben. Mary stellte sich neben Tansey, gerade als eine Wolke am Himmel sich verschob und der Mond allein den Hof erhellte.
    »Oh, Grundgütiger.«
    Es war keine angenehme Überraschung.
    Das Gatter hing schief in den Angeln; es war seit Jahren nicht geöffnet worden. Der Hof war leer. Überall wuchs Unkraut, büschelweise und flächendeckend. Es gab weder Tiere noch gab es Geräusche. Der Ort war völlig still. Aber die größte, erschreckendste Stille wartete auf der anderen Seite des Hofs.
    Das Haus.
    Das reetgedeckte Dach – es war nicht mehr. Und da war auch nichts, das es ersetzte.
    Näher heran wollten sie nicht. Der Mond war inzwischen ganz herausgekommen und verriet ihnen, dass die Fenster keine Scheiben mehr hatten. Nichts glänzte oder blitzte auf. Es gab keinen Hauseingang mehr, nur noch ein Loch in der Form einer Tür. Das Unkraut würde bestimmt auch dort drinnen wachsen, mitten im Haus, es würde aus dem Untergrund brechen, die Wände erklimmen, die Geländer umschlingen, alles zu Boden ringen – jenen Boden, aus dem das Haus vor fast zweihundert Jahren emporgewachsen war.
    »Das ist eine Überraschung.«
    »Und keine schöne, Herzchen.«
    »Man möchte direkt losheulen.«
    »Ich heule schon!«, sagte Scarlett.
    »Ich auch«, sagte Mary.
    »Brave Mädchen«, sagte Emer. »Weint für uns alle.«
    Sie tätschelte Scarletts Schultern und Scarlett ließ sie
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