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Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht

Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht

Titel: Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht
Autoren: R Doyle
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Geistern macht Kälte nichts aus.
    Sie setzten sich auf die Stufen, Seite an Seite an Seite an Seite – Mary mit Scarlett, mit Emer, mit Tansey.
    »Den Geruch der See habe ich schon immer geliebt.«
    »Und das Geräusch der Wellen!«
    »Das auch.«
    »Langweilig«, sagte Mary. »Das ist nicht vorlaut gemeint.«
    »Hast du Lust, zu schwimmen, Emer?«, sagte Tansey.
    »Lieber nicht«, sagte Emer. »Genug ist genug. Ich war nie besonders verrückt nach Wasser. Nur den Geruch habe ich schon immer gemocht.«
    Sie hustete wieder, diesmal länger.
    »Außerdem kann ich nicht schwimmen«, erklärte sie Tansey. »Hab’s noch nie gekonnt.«
    »Zum Lernen ist es nie zu spät«, sagte Tansey.
    »Ach was, das ist es wohl«, sagte Emer. »Und Schwimmen interessiert mich nicht. Aber das da …«
    Sie zeigte auf das Golden Nugget, die hinter ihnen liegende Vergnügungshalle.
    »Das war einfach nur fantastisch!«
    »Was?«, sagte Tansey.
    »All das Zeugs da drin«, sagte Emer. »Die einarmigen Banditen und die Penny-Schiebe-Maschinen und dieser Apparat, der dir die Zukunft vorausgesagt hat, auch wenn das natürlich nur Blödsinn war. Der Lärm und die Lichter. Scarlett hat es auch gefallen. Weißt du noch, Scarlett?«
    »Ja!«
    »Zu schade, dass sie geschlossen haben.«
    »Wir könnten warten, bis sie aufmachen.«
    »Nein«, sagte Emer. »Ist schon gut. Wir gehen in einer Minute.«
    »Na gut.«
    Emer drückte die Hand ihrer Mutter.
    »Ist es so ähnlich, wenn man stirbt?«, fragte sie, sehr leise, um Mary nicht zu beunruhigen. »Das Leben nach dem Tod und all das? Besteht es aus Trubel und aus bunten Lichtern?«
    »Es ist nichts, wovor man Angst haben müsste«, sagte Tansey. »Verstehst du mich?«
    Emer schaute Tansey an.
    »Ja«, sagte sie. »Ich glaube, das tue ich.«
    Sie kuschelten sich aneinander. Und neben ihnen kuschelten Mary und Scarlett sich ebenfalls aneinander.
    Tansey sprach zu ihnen allen.
    »Wir werden nie weit entfernt sein, versteht ihr?«, sagte sie. »Selbst wenn ihr uns nicht mehr sehen könnt.«
    Scarlett hatte zu weinen begonnen. Tansey beugte sich zu ihr hinüber und legte einen Arm um sie.
    »Wenn du deine Mutter sehen willst, dann betrachte dein Gesicht im Spiegel«, sagte sie. »Oder schau Mary ins Gesicht. Oder in das Gesicht von Marys Tochter. Du wirst Emer dort wiederfinden. Du wirst schon sehen. Genau wie ich. Genau wie du. Und genau wie Mary.«
    Alle weinten jetzt wieder, aber es war gut – es war schön.
    Es war großartig.
    »Aber ich hab keine Tochter«, sagte Mary. Sie wischte sich über die Augen und die Nase.
    Sie brachen in Lachen aus. Mary ebenfalls. Ich hab keine Tochter. Es war das Witzigste, das sie je gehört hatten.
    »Irgendwann wirst du eine haben«, sagte Tansey. »Vielleicht.«
    »Das ist auch abgefahren«, sagte Mary. »Ich bin nicht vorlaut.«
    »Ich möchte jetzt zurück ins Krankenhaus«, sagte Emer.
    Und das ließ sie noch mehr weinen.
    »Würdest du lieber mit zu uns nach Hause kommen, Mama?«, fragte Scarlett.
    »Redest du mit mir, Scarlett?«, sagte Emer.
    »Ja«, sagte Scarlett. »Natürlich.«
    »Es ist ein wenig verwirrend«, sagte Emer. »Hier sitzen drei Mamas in einer Reihe.«
    »Na, jedenfalls bist du die Mama, die ich angesprochen habe«, sagte Scarlett. »Würdest du gern mit mir und Mary nach Hause fahren?«
    »Liebend gern«, sagte Emer. »Aber besser nicht. Ich glaube, in diesem Krankenhaus bin ich sicherer aufgehoben.«
    »Oh, Mama.«
    »Mir geht’s gut. Mir geht’s großartig und ich hatte eine wunderbare Zeit. Ich habe meine Mutter getroffen – stellt euch bloß vor!«
    Sie lachte – und hustete.
    Es wurde kälter – so schien es jedenfalls.
    »Aber auf ein Softeis hätte ich Lust«, sagte Emer. »Im Hörnchen.«
    »Oh.«
    »Ich auch«, sagte Mary.
    »Es ist vier Uhr morgens«, sagte Scarlett.
    »Das könnt ihr mir überlassen«, sagte Tansey. »Ich besorge das Eis. Weiter hinten habe ich einen Laden gesehen, mit einem riesigen Hörnchen vor der Tür. Da sollte Eiskrem zu kriegen sein.«
    »Du kannst durch die Tür gehen!«
    »Kann ich.«
    »Cool.«
    »Aber«, sagte Scarlett, »wie willst du bezahlen?«
    »Ihr gebt mir das Geld mit und ich lege es ihnen hin, gleich neben die Eismaschine. Die werden den ganzen Tag rätseln, wenn sie ihren Laden öffnen und wir längst wieder in Dublin sind. ›Von wem stammt dieses Geld?‹, werden sie sich fragen.«
    Sie gingen langsam zum Auto. Tansey lief voraus, direkt zu dem Laden auf der anderen Seite des
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