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Die Rache Der Wache

Titel: Die Rache Der Wache
Autoren: Robert Asprin
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Hakiem
Einleitung
    Es war eine zögernde Nacht im Wilden Einhorn. Nicht zögernd in dem Sinn, daß es noch keine Schlägerei gegeben hatte (hatte es auch nicht), oder daß nicht viele Gäste herumsaßen (es waren tatsächlich nicht viele), sondern eine andere Art von Zögern, am ähnlichsten dem eines Verurteilten auf dem Weg zum Galgen. Denn das Einhorn lag im Sterben, genau wie ganz Freistatt. Jeden Tag verließen mehr Bürger die Stadt, und jene, die blieben, wurden zusehends verzweifelter und grimmiger. Die wirtschaftliche Lage konnte kaum noch schlechter werden.
    Verzweifelte waren gefährlich, bei der geringsten Gelegenheit mochten sie zu Räubern werden. Das wiederum machte sie anfällig für die echten Räuber, die die Stadt anzog wie ein krankes Tier Wölfe. Jeder mit auch nur einer Unze Verstand und einem guten Bein, auf dem er noch hinken konnte, hätte Freistatt längst verlassen.
    Das jedenfalls waren Hakiems, des Geschichtenerzählers, Gedanken, während er über einem Becher billigem Wein grübelte. In dieser Nacht machte er sich nicht einmal die Mühe vorzutäuschen, daß er betrunken schlummerte, während er in Wirklichkeit aufmerksam den Gesprächen an den Nachbartischen lauschte. Er kannte sämtliche anwesenden Gäste und wußte, daß kein einziger etwas von Interesse für ihn ausplaudern würde — also war es unnötig, gleichgültig zu tun.
    Morgen würde er Freistatt verlassen. Er würde sich eine neue Stadt suchen, irgendwo, wo die Leute freigebiger waren und ein Meistergeschichtenerzähler gebührend gewürdigt wurde. Hakiem lächelte bitter, denn noch während er diesen Entschluß faßte, wußte er bereits, daß er sich nur selber etwas vormachte.
    Er liebte diese jämmerliche Stadt, genau wie er diesen zähen Menschenschlag liebte, den sie hervorbrachte. Eine hartnäckige unerschütterliche Lebenskraft brodelte unter der Oberfläche. Freistatt war ein Paradies für Geschichtenerzähler. Wenn er die Stadt verließ, falls er es je tat, würde er genug Geschichten für ein ganzes Leben — nein, zwei Leben — haben. Lange Geschichten und kurze Geschichten, genau auf den Geldbeutel des Zuhörers zugeschnitten. Geschichten von heftigen Kämpfen zwischen Kriegern und Zauberern. Geschichten von kleinen Leuten, so alltäglich, daß sie das Herz eines jeden rühren mußten. Vom kaiserlichen Statthalter mit seiner Leibgarde, den Höllenhunden, bis zum armseligsten Dieb, boten sie alle Stoff für Hakiems Geschichten. Wenn er sie wie ein Puppenspieler gelenkt hätte, sie hätten ihre Rollen nicht besser zu spielen vermocht.
    Das Lächeln des Geschichtenerzählers wirkte echter, als er den Becher erneut an die Lippen hob. Da lenkte eine Gestalt, die soeben zur Tür hereintaumelte, seine volle Aufmerksamkeit auf sich, und der Becher blieb auf halber Höhe in der Luft.
    Eindaumen!
    Der Wirt und Besitzer des Wilden Einhorns war längere Zeit verschwunden gewesen, und die Gäste hatten sich nicht wenige Gedanken über seine Abwesenheit gemacht. Plötzlich war er wieder da, lebensgroß — nein, nicht ganz lebensgroß!
    Hakiem beobachtete ihn, als er sich zum Schanktisch schleppte, sich darauf stützte, nach einem Weinkrug griff und seine sonst so geschickten Finger an dem Korken fummelten, wie ein Jüngling an seiner ersten Frau. Der alte Geschichtenerzähler konnte seine Neugier nicht länger bezähmen. Er zwängte sich hinter seinem Tisch hervor und hastete mit einer Behendigkeit auf den Mann zu, die sein Alter Lügen strafte.
    »Eindaumen!« rief er mit wohlberechneter Freude in der Stimme. »Willkommen zu Hause!«
    Der Breitschultrige richtete sich auf, drehte sich um und blickte den Geschichtenerzähler mit stumpfen Augen an. »Hakiem!« Das fleischige Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln. »Bei den Göttern — die Welt ist echt!«
    Zu Hakiems Verblüffung war Eindaumen den Tränen nahe, als er die Arme ausbreitete, um den Alten wie einen verlorenen Sohn an sich zu drücken. Hastig hielt der Geschichtenerzähler den Weinbecher zwischen Eindaumen und sich.
    »Ihr seid lange weggewesen«, sagte er ohne große Umschweife. »Wo wart Ihr eigentlich?«
    »Fort?« Wieder blickten die Augen stumpf. »Ja, ich war fort. Wie lange denn?«
    »Über ein Jahr.« Der Geschichtenerzähler war verwirrt, aber unersättlich in seiner Neugier.
    »Ein Jahr«, murmelte Eindaumen. »Es scheint mir wie ... Die Gänge! Ich war in den unterirdischen Gängen! Es war ...« Er machte eine Pause, um einen tiefen Schluck
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