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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder
Autoren: Bertha von Suttner
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seiner Stimmung und in heiterem Tone begann er mit den anderen zu plaudern. Aber er fand keinen Widerhall. Auf ihren Gesichtern lag ein düsterer Schatten. Sie antworteten ihm einsilbig und in gedämpftem Ton. Von Sylvia wunderte ihn dieses Gebaren nicht – sie trug ja schwer an ihrer Trauer, aber was bedrückte Kolnos und Cajetane? Sollte die Gefahr doch nicht behoben sein – wußten sie etwa von einer hoffnungslosen Prognose des Arztes?
    »Warum seid Ihr so traurig?« fragte er. »Der Zustand unserer Kranken ist doch nicht mehr furchterregend?«
    Kolnos seufzte: »die unmittelbare Gefahr scheint gehoben,« antwortete er, »aber –«
    »Aber was?«
    »Es war ein fürchterlicher Moment vorgestern – und das kann sich wiederholen– –«
    Jetzt war Rudolfs momentane frohe Laune wieder verflogen. Er war sich neuerdings bewußt, daß diesem Hause der Engel des Todes schon gar nahe gewesen; hatte er doch vor wenigen Stunden selber gefürchtet, ihn hier zu finden ...
    Und mit diesem Stimmungswechsel tauchten jetzt auch andere Erinnerungsbilder aus seiner Grumitzer Kinderzeit in ihm auf ... nichts mehr von Spielen und Festen, sondern jene Sterbewoche des Kriegsjahres 1866, aus der sich eine Kette von Angst- und Schreckensszenen in sein Gedächtnis gegraben hatte ...
    Der Rest des Mahles verlief ziemlich schweigsam. Gleich nach dem Essen entfernte sich Sylvia, um bei der Mutter nachzusehen.
    »Bring' uns Nachricht,« sagte ihr Rudolf, »und frage sie, ob jemand von uns ihr heute noch Gesellschaft leisten soll.«
    Nach einer Weile kam eine Kammerjungfer und richtete aus:
    »Frau Gräfin Sylvia läßt sagen, daß es der Frau Baronin viel besser ist, daß sie aber schon zu Bett gegangen und schlafen will – heute also niemand mehr sehen will. Frau Gräfin Sylvia bleibt bei ihr.«
    Das Mädchen wandte sich zum Gehen. Cajetane rief ihr nach: »Sagen Sie der Gräfin Sylvia, daß ich sie in der Nachtwache ablösen werde.«
    »Sehr wohl, Komteß. Ich hab' so schon, wie gestern und vorgestern, im Nebenzimmer für Komteß ein Bett aufgeschlagen.«
    »Wie gut Sie mit meiner Mutter sind, Cajetane –«
    »Weil ich sie liebe. «
    Nach diesen Worten wurde das junge Mädchen feuerrot; es fiel ihm ein, daß man beim gesprochenen Wort nicht unterscheiden kann, ob das »sie« mit kleinem oder großem Anfangsbuchstaben gedacht sei, und rasch verbesserte es sich: »Weil ich die Baronin Tilling liebe.«
    Eine Welle von Zärtlichkeit erwärmte Rudolfs Herz. Er richtete einen dankbaren Blick auf sie und drückte ihr stumm die Hand.
    Sie entfernte sich bald und die beiden Männer blieben allein. »Ein liebes Geschöpf,« sagte Kolnos, nachdem sich die Tür hinter Cajetane geschlossen. »Ich weiß, welcher Trost ihre Anwesenheit hier im Hause ist ... Und sie beweist Charakterstärke, indem sie hier bleibt. Täglich erhält sie Briefe von zu Hause, wohin man sie zurückruft: die Ihren sind gar nicht damit einverstanden, daß sie so lange fortbleibt, und so manches andere ... Aber sie läßt sich nicht irre machen. Komm, ich schlage vor, daß wir unsere Zigarren draußen rauchen; es ist ja ein gar so wundervoller Abend.«
    Die Fenstertüren des Speisesaals führten auf eine Terrasse, vor welcher das Blumenparterre des Parkes lag. Kolnos und Rudolf traten hinaus und ließen sich da in zwei Schaukelstühle nieder. Die Luft war warm; am mondlosen Himmel wimmelte es von funkelnden Sternen. Ein Duft von Violen und Heliothrop strich von den Beeten herauf. Allerlei Nachtgeflüster war vernehmbar: raschelndes Laub, das Tropfen einer Fontäne, ein ferner Unkenchor und nahes Grillenzirpen; manchmal das Anschlagen eines Hundes vom Dorfe her und aus dem Schlosse, dessen Fenster meist offen standen, hin und wieder die gedämpften Töne verrichteter Hausarbeit: das Schließen von Türen, Stimmen, Schritte.
    Aus den Fenstern des oberen Stockes, da, wo Marthas Zimmer lagen, drang ein Schein durch die Jalousien. Kolnos schaute hinauf:
    »Es ist noch Licht bei ihr,« sagte er. Dann nach einer Weile: »Hier auf der Terrasse saßen wir – sie und ich – vor einigen Tagen noch beisammen, und ich mußte ihr von meiner letzten Reise erzählen. Es war vielleicht meine letzte ...ich bin schon zu alt, um mich in fremden Zonen herumzutreiben.«
    »Wo bist Du diesmal gewesen?«
    »Ach, lassen wir das ... Mich drängt es, Dir etwas anderes zu erzählen – etwas, was weiter zurückliegt und was mir in diesen letzten Tagen, am Lager Deiner Mutter, das ich für ein
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