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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder
Autoren: Bertha von Suttner
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bestimmt wird, ob man von ihm spricht oder nicht. Wir beiden haben schon schlimmeren Todesfällen ins Gesicht geschaut, mein armer Sohn, als es der meine wäre! Ich habe meine Laufbahn vollbracht ... es ist Abend – ich fürchte mich nicht vor der Nacht.«
    Sie nahm vom nebenstehenden Tischchen ein mit Limonade gefülltes Glas und tat einen tiefen Zug.
    »So sprich, Mutter, ich höre,« sagte Rudolf ehrerbietig.
    »Ich bitte Dich – es ist meine letzte höchste Bitte – laß niemals nach in dem Werk, das Du begonnen hast ... Wenn Du viele Enttäuschungen erlebst – wenn Du auch wahrnimmst, daß der eingeschlagene Weg nicht der richtige war, versuche einen anderen, nur das Ziel verliere nicht aus den Augen – es handelt sich ja um so Großes, so unausdenkbar Großes, um nichts Geringeres, als das Glück – das Edelglück – der Welt, an Stelle ihres Elends.«
    »Ich verstehe Dich,« schaltete er ein.
    Bei den letzten Worten, die sie mit vor innerer Erregung bebender Stimme gesprochen, hatte sie sich ein wenig erhoben. Jetzt lehnte sie sich wieder ganz zurück und fuhr in ruhigerem Tone fort:
    »Man sollte meinen, wenn man diese Welt verläßt, daß es einem gleichgültig sein müßte, wie die Zukunft der künftigen Geschlechter sich entwickelt. Das ist aber nicht der Fall, wenigstens nicht bei mir. Die Sehnsucht nach besseren Zeiten für unsere Enkel – wenn ich ja auch keine Enkel habe – brennt mir hier auf meinem Totenbette...« – Rudolf machte eine Bewegung – »es ist ja nur Fiktion – brennt mir ebenso heiß auf der Seele, wie in der Zeit jugendlicher Lebenskraft, da man noch hoffen konnte, jene Zukunft selber zu erleben. Das muß ein Naturtrieb sein, diese Sorge um ein Jenseits des eigenen Lebens; und auf das Vorhandensein dieses Triebes stütze ich meinen Unsterblichkeitsglauben.«
    »Das tun die Gläubigen auch, die auf einen Himmel hoffen.« »Ja, die erhoffen aber diesen Himmel für ihr eigenes Ich – außerhalb der Erde und außerhalb der Menschen. Solchen ist gewöhnlich auch die Zukunft der Gesellschaft ganz gleichgültig und sie arbeiten nicht dafür. Ich aber glaube an ein allgemeines – nicht individuelles – ewiges Leben, ein Leben, an dem wir alle gleich teilhaftig sind. Stets enthält die Welt ein bewußtes, leidendes, genießendes, höherstrebendes Ich – gleichviel, ob die einzelnen Erscheinungen davon hier und dort gestorben oder nicht geboren sind ... Aber lassen wir das – um mich Dir verständlich zu machen, müßte ich lange sprechen, und ich muß Dir ja anderes sagen.«
    »Ich glaube doch zu wissen, was Du meinst. Zum Beispiel: eine große, lodernde Flamme; die einzelnen Funken zerstieben, andere entzünden sich – es ist aber dasselbe Feuer und brennt weiter.«
    Martha nickte:
    »Und soll nicht nur weiter brennen, sondern immer lichter und immer heißer, damit jeder einzelne Funke, der sich neu entzündet, desto fröhlicher sprühen kann ... Und so wird das kommende Jahrhundert die krieglose, die endlose Zeit bringen, und die das herbeiführen helfen, erfüllen das Gesetz ... die allein sind auf dem richtigen Wege – mögen sich ihnen tausend Hindernisse entgegenstemmen, mögen sie verkannt, verspottet – vernichtet werden, ihre Arbeit baut das Kommende auf. Überdauern sie den Ansturm der Gegenkräfte, so können sie ihren Sieg noch sehen. Dir, Rudolf, kann es beschieden sein, Du bist noch jung.«
    »Ich sehe schon heute, Mutter, daß jener Bau sich zu erheben beginnt, zu dem ich einzelne – verschwindend kleine – Steinchen trage und so lange ich lebe, tragen werde. Laß mich die Feierlichkeit dieser Fiktion, daß Du eine Sterbende seist, benützen, um den unverbrüchlichen Eid zu leisten, daß ich in dem begonnenen Kampfe niemals erlahmen werde, daß keine Lockungen und keine Trübsale mich vermögen sollen, von meiner Aufgabe abzulassen. Ich gestehe, daß ich manchmal verzagte ... in ähnlichen Augenblicken werde ich an die gegenwärtige Stunde denken, an diese feierliche Erneuerung meines Fahneneides.«
    Bei den Worten: »daß Du eine Sterbende seist« hatte er sich auf ein Knie herabgleiten lassen und Marthas herabhängende Hand erfaßt. Zum Schluß drückte er einen Kuß darauf und setzte sich wieder auf seinen vorigen Platz.
    »Danke, mein Kind. Und noch eins: glaube nicht, daß ich – eine Art weiblicher Abraham – meinen Sohn einem fremden Wohl opfern will. Ich sehe im Gegenteil, daß Dir die höchste Genugtuung winkt, wenn Du Dich dem Geist der
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