Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder
Autoren: Bertha von Suttner
Vom Netzwerk:
bedrohenden Menschheit und gleichzeitig für die Erhabenheit des Ziels, solchen Jammer zu verscheuchen, für die einfache Erreichbarkeit des Ziels – so intensiv schmerzlich, was den Jammer, so freudig hell, was die Rettung betrifft – daß sie wähnte, jetzt und jetzt müsse sie auch die Formel finden ... aber während sie danach mit den Gedankenfühlern tastete, war der ganze Bewußtseinszustand entschwunden. Jetzt, wo sie so dasaß, versuchte sie, sich ihn zurückzurufen – vergebens, andere Gedanken drängten sich heran: Sylvia, Cajetane – und mit aller Gewalt, wie immer, wenn sie so seelisch erregt war, eine Flut von Erinnerungen an ihren Verlorenen – aneinandergereiht alle die Bilder der an Glück und Schmerz so reichen Ehezeit... Würde es sich süßer, leichter sterben, wenn er noch da wäre? Wenn sie in der letzten Stunde den Kopf an seine Brust lehnen könnte? Die arme, vor mehr als zwanzig Jahren zerschossene, längst verweste Brust ... Jetzt war die Reihe des Verwesens an ihr – zurück ins All, die getrennten Atome. Bei dem Gedanken »All« – es ist ja doch nur ein anderes Wort für Gott – durchrieselte sie ein Andachtsschauer. So blieb sie versunken; wenn sie auch um nichts bat – es war ein Beten.
    Dann nahm sie Tillings Bild in die Hand. Daß sie beide einst so glücklich gewesen, daß sie einander so geliebt, das war eine unvertilgbare Wirklichkeit. Unvertilgbar auch die Idee, deren Hut er ihr übergeben, und die sie nun in die Hut ihres Sohnes gelegt. Wieder strengte sie sich an, eine geeignete Wortformel zu finden, in der sich jene Ideen einkapseln ließen, wie kostbare Tropfen Lebenselixiers in ein goldenes Fläschchen –
    Draußen regnete es immer heftiger. Es hatte sich nun auch ein Wind erhoben, der den Guß an die Scheiben peitschte und sich pfeifend in die Kamine warf. Die klagenden Töne rissen Martha aus ihrem Sinnen heraus und verstärkten ihr Bangigkeitsgefühl ... Sollte sie doch rufen? Ihre Kinder würden ja herbeieilen, sie zu beruhigen, zu trösten, ihre lieben, aber ach – so wenig glücklichen Kinder ... Nein, wozu ihren Schlaf stören, ihnen überflüssig Angst bereiten?
    Die moralische Bangigkeit ging wieder in physische Beklemmung über. Ein heftiger Schmerz in der Herzgegend steigerte sich zu Atemnot und lautes Stöhnen entrang sich ihrer Brust.
    Die Jungfer, die durch das Heulen des Windes schon früher erwacht war und unter der Tür den Lichtschein sah, hörte jetzt dieses Stöhnen und eilte ihrer Herrin zu Hilfe. Sie fand sie nach Atem ringend und nun geschah, was Martha so gern vermieden hätte, das Haus ward alarmiert.
    Der Anfall dauerte aber nicht lange; bald lag Martha ganz ruhig atmend und schmerzbefreit auf ihrem Bett, das ihre Kinder und die anderen umstanden.
    Der herbeigeholte Arzt des Ortes bat, man möge nach dem Wiener Professor telegraphieren und es wurde ein reitender Bote nach der Station gesprengt. Ebenso hatte Sylvia – einem gegebenen Versprechen gemäß – sofort an Cajetane eine Depesche geschickt.
    Nach einer Stunde schlief Martha ein.
    Schlief ein und erwachte nicht wieder. Ein Herzschlag hatte ihrem Leben eln sanftes Ende gemacht. Mit demselben Zuge, als der Wiener Arzt, war am folgenden Nachmittag Cajetane Ranegg in Grumitz angekommen. Schon auf der Station erfuhren beide, daß alles vorüber sei.
    Schluchzend betrat das junge Mädchen das Sterbezimmer und stürzte auf das Lager der Toten, an dessen Seite Rudolf kniete. Sylvia saß in einiger Entfernung, das Gesicht in den Händen vergraben.
    Rudolf stand auf und trat auf Cajetane zu. Ein Strom von Zärtlichkeit überflutete sein wundes Herz; er umschlang ihre Gestalt und weinte an ihrer Achsel.
    »Sie hat Dich unendlich lieb gehabt, Cajetane,« sagte er.
    Daß er mit diesem »Du« und mit dieser Umarmung sich verlobte, das fühlte er. Doch er fühlte es wie einen lindernden Trost, wie die Erreichung eines Hafens.– –
    Am nächsten Abend – bei der Toten wachten Sylvia und Kolnos – ging das Brautpaar in denselben Laubgängen auf und nieder, wie neulich am Vorabend von Cajetanes Abreise.
    Wieder dufteten die Violen so stark, aber diesmal hauchten sie dem jungen Mädchen ganz andere Dinge zu als neulich. Es mischte sich – was freilich Halluzination war – der Geruch der Wachskerzen dazu, die zu Häupten und zu Füßen der Aufgebahrten brannten – und so erzählten die Violen von unverhofftem Liebesglück und von düsterer Totenklage.
    So wie damals schob er ihren Arm unter den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher