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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder
Autoren: Bertha von Suttner
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von uns gestorben sein« – das schrieb er mir in seinem letzten Brief... Und so kam es auch – später war er gestorben!«
    Rudolf drückte ihr mitfühlend die Hand. »Ach so!« –
    Nach einer Weile versetzte er:
    »Du darfst Dich Deinem Kummer nicht so standhaft hingeben, Sylvia. Nimm Du Dir nicht als Beispiel die unverbrüchliche Totentreue unserer Mutter. Du hast kein gleiches Recht dazu. Wenn man jahrelang mit einem geliebten Wesen verbunden, wenn man mit ihm eins gewesen, Glück und Unglück geteilt, – die Seelen mit allen Gedanken und Wünschen verflochten, dann nur ist das lebenslängliche Nachtrauern erlaubt. Aber Du und Hugo? – Glaubst Du, wenn er Dich verloren hätte, Dich, die er nie besessen – hätte da nicht schon nach kurzer Zeit eine neue Liebe seinen Dichtersinn erfüllt?«
    »Du tust mir weh, Rudolf.«
    »Verzeih – eine rettende Hand muß manchmal rauh zugreifen –«
    »Mir geht Cajetane ab – die hatte eine gar zarte Art, mit meiner wunden Seele umzugehen ... Daß sie so plötzlich abgereist ist, macht mich böse – auf Dich!«
    »Warum auf mich? Hab' ich Deine Freundin verjagt?«
    »O, Du weiht ganz gut...«
    Ja, er wußte. Und ein Wunsch daß die Geflohene da wäre, erfaßte ihn. Am liebsten hätte er zu Sylvia gesagt: »Schreib' ihr, daß sie wiederkomme« Aber er hielt sich zurück.

XXXVI.
    Mitternacht. Martha war mehrere Tage so wohl und kräftig gewesen, daß sie selber und auch ihre Umgebung es nicht mehr für nötig befunden, daß jemand bei ihr wache, und sie war allein in ihrem Schlafzimmer.
    Sie fand aber keinen Schlaf und auch keine Ruhe. Eine eigene Beklemmung schnürte ihr die Kehle zu und eine eigene Bangigkeit beschlich ihr Gemüt. Sie machte Licht und setzte sich im Bette auf. Die liegende Stellung hielt sie nicht aus.
    Sollte sie der nebenan schlafenden Jungfer klingeln? Nein – wozu? – sie brauchte ja nichts. Nur Luft. Die konnte sie sich selber verschaffen, wenn sie das Fenster öffnete; würde sie zu diesem Zweck die Jungfer rufen, so gäbe das gleich Alarm – es hieße: ein neuer Erstickungsanfall und das ganze Haus liefe zusammen.
    Sie schlüpfte in ihre Pantoffel und in einen auf dem Sessel neben dem Bett liegenden weiten, weichen Schlafrock und ging sachten Schrittes zu dem Fenster, dessen Flügel sie aufschlug.
    Eine frische, nach Sommerregen duftende Luft kam hereingeströmt. Man hörte das Klatschen der dichtfallenden Tropfen auf das Laub und das Rieseln aus einer Dachrinne. Martha atmete in tiefen Zügen die feuchte kühle Luft ein und die Brustbeklemmung wich; die Gemütsbangigkeit aber blieb – verstärkte sich sogar zur Traurigkeit. Die Dunkelheit, das eintönige Geplätscher und selbst der starke Regengeruch hatten etwas so melancholisches ... Ach nein, die Melancholische war sie selber – nicht die feuchte Sommernacht – und jetzt wußte sie auch – woher ihre Augen sich mit Tränen füllten, was die Ursache ihres Bangens war: der Gedanke an das Gestorben-, das Begrabensein ...«
    Sie machte das Fenster wieder zu, nahm das Licht und ging durch die offenstehende Tür in ihr anstoßendes Schreibzimmer, da wo alle ihre geliebten Reliquien waren und wo an allen Ecken und Enden die Andenken und Bilder Tillings standen und hingen. Hier wollte sie nun recht gründlich an den Tod denken – hier Abschied nehmen von ihren Erinnerungen und Abschied von sich selber.
    Sie warf sich in den Lehnstuhl vor dem Schreibtisch und rückte das Licht so, daß sein Schein auf die große, gemalte Photographie Tillings fiel, die in einem Rahmen auf dem Tische stand. Das liebe Antlitz schien sie anzublicken.
    »Mein Friedrich!« Langsam und heiß rannen die zwei Tränen, die ihr ins Auge getreten waren, über die Wangen herab.
    Dann aber weinte sie nicht mehr. Nicht um zu trauern hatte sie sich hierher gesetzt; denken wollte sie; sich noch einmal vergegenwärtigen, was sie in der fingierten Todesstunde mit ihrem Sohn gesprochen; ob sie denn auch alles Wesentliche gesagt! – Nein, lange nicht alles. Was auch immer im Leben sie gesprochen oder geschrieben über die große Sache, die ihr auf dem Kerzen lag, stets war ein Rest geblieben; stets war das am heftigsten Empfundene, das am klarsten Erkannte nicht ausgedrückt worden.
    Vorhin, im Dunkeln, als sie im Bette lag und ein krampfhaftes Zusammenziehen ihres Herzens sie aus halbem Schlafe aufgeweckt, da war ihr mit einem einzigen Gedanken ein volles Verständnis aufgeblitzt für den ganzen Jammer der sich gegenseitig
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