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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen
Autoren: Michelle Stöger
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Außerdem, wie viele sind es, an die er sich erinnern müsste? Vielleicht Dutzende oder mehr. Wir werden das noch herausbekommen. Jetzt lauf mal ein bisschen schneller, wir haben nicht ewig Zeit.«
    Inzwischen haben wir den Platz erreicht, um den sich Eiscafés, Restaurants und ein Fischgeschäft gruppieren. Ich entsinne mich, dass ich damals diesen Platz immer überquert habe, um zum Strand zu gelangen. Ella streckt den Arm aus. »Wir laufen noch ein paar Meter weiter geradeaus und dann da vorne rechts ein Stück den Hang hoch.«
    Beim Fischhändler an der Ecke erstehen wir eine geräucherte Pfeffermakrele und zwei Lachsbrötchen, dann stapfen wir weiter, bis ich an dem Hang auf halber Höhe stehen bleibe. Ich kann nicht mehr. Einzig der Blick über die Strandallee hinweg auf die Ostsee, in der sich jetzt die Spätnachmittagssonne spiegelt, entschädigt mich für die unverhofften Anstrengungen, die mir der heutige Tag bringt. »Schon vier, es wird bald dunkel«, sage ich, »ist es noch weit?«
    Ella nimmt mich an den Schultern und dreht mich in Richtung eines terrassenförmigen Hauses mit vielen Balkonen. »Noch zwei Schritte, dann hast du es geschafft.«
    Das Appartement, das Ella vorsorglich gemietet und in das sie mich freundlicherweise eingeladen hat, verfügt neben dem eigentlichen Schlafzimmer zum Glück auch noch über ein Gästezimmer. Während ich in der Wohnküche unseren mitgebrachten Imbiss möglichst ansehnlich auf zwei Teller verteile, räumt Ella ihre kleine Reisetasche aus. Mir fällt ein, dass ich nicht einmal eine Zahnbürste dabei habe, aber das ist im Augenblick nebensächlich angesichts der bevorstehenden Begegnung.
    »Ab halb sechs legen wir uns vor seiner Wohnung auf die Lauer und fangen ihn ab«, sagt Ella und schwenkt den Zettel mit Bussards Adresse. »Fischerstieg. Da haben wir Schwein gehabt, das ist nämlich quasi hier um die Ecke. Sehr praktisch.«
    Während wir an dem viereckigen Holztisch zwischen Herd und Couch unseren Imbiss verzehren, erklärt Ella noch einmal den Ablauf. »Er hat mich für sechs Uhr vor die Jugendherberge beordert, also wird er vor halb sechs seine Wohnung nicht verlassen, eher später. Sollte er von woandersher zum Treffpunkt kommen, dass müssen wir eben warten, bis er danach in seine Wohnung zurückkehrt.«
    »Falls wir nicht vorher erfrieren«, wende ich ein. Ella wirft mir einen ungehaltenen Blick zu, dennoch stelle ich gleich die nächste unbequeme Frage: »Was ist, wenn er mich erkennt? Oder wenn er sauer wird, dass du nicht alleine bist?«
    »Wir müssen es ausnutzen, dass er zunächst von der Situation überrascht sein wird. Seine Geldgier wird schließlich seine Skepsis besiegen. Hauptsache, wir gelangen in seine Wohnung. Übrigens – erkennen wird der dich nach sechs Jahren garantiert nicht mehr.«
    »Danke«, sage ich und bemühe mich, nicht beleidigt zu klingen.
    Als wir losziehen, ist es tiefschwarz draußen. Wir hören das Meer rauschen, ohne es zu sehen, unter unseren Sohlen knirscht der Schnee. Ich bin froh, als wir am Fuße des Hangs ankommen und gleich links in eine asphaltierte Straße abbiegen.
    »Der Fischerstieg«, flüstert Ella, die das Bussard-Amulett mit der Hand umklammert.
    Noch während wir versuchen, Hausnummern zu entziffern, öffnet vor unserer Nase ein Mann ein Gartentor, hinter dem ein unscheinbares spitzgiebeliges Haus zu erkennen ist. Er geht auf ein Fahrrad zu, das am Gartenzaun angekettet ist, und bückt sich, um es zu loszumachen, als er uns entdeckt.
    Ella schaltet schnell. »Nein, so was«, ruft sie und hält das Amulett in ihrer Hand hoch wie eine Hostie, »gerade habe ich mich gefragt, wie ich bei dieser Dunkelheit wohl den Weg zu unserem Treffpunkt finden soll.« Sie steht jetzt so dicht bei ihm, als wollte sie ihm Handschellen anlegen. »Wenn du hier wohnst, können wir ja bei dir einen Kaffee trinken.«
    Der Bussard – wir nennen ihn nur noch so, weil alles andere zu persönlich wäre – richtet sich verwirrt auf, wobei ich, nicht ohne Häme, einen deutlichen Bauchansatz erkenne. Jünger ist der auch nicht geworden. »Isch atte geofft, wir konnten alleinö sein«, radebrecht er und blinzelt in meine Richtung.
    »Oh. Das ist meine Freundin«, erklärt Ella, »wir haben keine Geheimnisse voreinander. Also was ist, gehen wir nun rein?« Ihre Stimme klingt plötzlich wie blankes Eisen. Das merkt auch der Bussard. Sein Kopf schnellt hoch, und wenn mich nicht alles täuscht, versucht er, uns mit einem Satz zu entkommen.
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