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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen
Autoren: Michelle Stöger
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    Gisa Pauly
    Her mit dem Zimtstern – oder ich beiße!
    Sylt
    Sylter Rundschau, 15 . 12 .
    Urlauber von Möwen angegriffen! Touristen mussten in der Nordsee-Klinik behandelt werden! – Sylter Naturschützer warnen immer eindringlicher davor, Möwen zu füttern. Dadurch verlieren die Tiere die Angst vor den Menschen und holen sich Fischbrötchen, Eiskugeln, Zimtwaffeln und Crêpes aus den Händen flanierender Feriengäste. Die Gemeinde Westerland, so fordern die Naturschützer, soll endlich das Füttern der Möwen verbieten, damit sich die Vögel wieder artgemäß verhalten.
     
    Kümmerliche Verhältnisse waren das damals auf der Hallig Jordsand, in der großen Brutkolonie im Watt. Ein paar Fische, um die man sich balgen musste, Muscheln, Krebstiere, Insekten, Würmer und Schnecken. Gelegentlich ein paar Eier aus fremden Gelegen oder mal ein Küken, das sich nicht wehren konnte. Alles sehr mühsam. Haben Sie sich mal überlegt, wie man als Silbermöwe klarkommt? Ja, das dachte ich mir. Aber dann meckern, wenn man nach einfachen Wegen sucht! Abfälle von einer Mülldeponie? Igitt! Wer nur eine einzige Saison über der Friedrichstraße und der Kurpromenade kreist, wird unweigerlich zum Feinschmecker. Jedenfalls in der Hauptsaison. Während der Nach- und Nebensaison darf man nicht wählerisch sein, da muss man sehen, wo man bleibt.
    Aber zum Glück gibt es die Zwischensaison, in der Sylt so voll ist wie im Sommer, weil die Touristen über den Hindenburgdamm kommen, sobald ein hoher Feiertag in Sicht ist. Egal, wie das Wetter ist. Nach dem langen entbehrungsreichen November, in dem bei Gosch nicht mal die Abfallbehälter was hergeben, geht es Anfang Dezember schon los mit den Holzhäuschen, die die Lokale vor ihren Eingängen errichten, damit sich die Touristen einbilden können, sie säßen im Freien, weil sie unter ihren Füßen das Pflaster der Friedrichstraße haben und trotz der Heizstrahler ihre Mäntel anbehalten müssen. Ab dem Nikolaustag sind alle Touristen auf Sylt in Weihnachtsstimmung. Wie zufrieden die dann aussehen! Als hätten sie dem Christkind ein Schnippchen geschlagen!
    Und uns Möwen auch. Dabei merkt jede Silbermöwe spätestens am ersten Advent, dass ein paar bequeme Sitzgarnituren direkt an die Flaniermeile gerückt worden sind, über deren Rückenlehnen warme Decken hängen. Da kuscheln sich die Touristen so fest hinein, dass sie ihre Hände erst befreit haben, wenn ich mit ihrer Ofenkartoffel schon auf und davon bin. Einmal habe ich sogar ein paar Krabben in der Sour Cream erwischt. Bereits gepult! Sensationell! Allerdings durfte ich mich danach eine Weile nicht mehr in Westerland City blicken lassen.
     
    Sylter Rundschau, 17 . 12 .
    Schwerer Zwischenfall auf der Friedrichstraße! Ein Ehepaar, das gestern vor dem Café Orth einen Imbiss einnahm, wurde von einer rabiaten Silbermöwe angegriffen. Das Tier ging äußerst aggressiv vor. Nachdem es mit einem einzigen Flügelschlag die beleuchteten Rentiere vom Eingang gefegt hatte, stürzte es sich auf ein Tellergericht, das soeben serviert worden war. Dabei fügte die Möwe dem Kellner, der die Gäste schützen wollte, eine nicht unerhebliche Wunde zu und griff den Gast, der sich auf seine Ofenkartoffel warf, derart brutal an, dass ein Krankenwagen geholt werden musste. Die Möwe hinterließ eine Spur der Verwüstung. Das Café Orth musste für mehrere Tage wegen Renovierungsarbeiten geschlossen werden.
     
    Lieber Himmel, war das ein Theater! Ich kreiste noch eine Weile über der Friedrichstraße, um mir aus sicherer Höhe anzusehen, was unter mir passierte, aber unterhaltsam war das nicht. Dann kam ich jedoch auf die Idee, mir die Unaufmerksamkeit der Touristen zunutze zu machen. Einige hatten nämlich, als sich der Kellner mit einer Gabel bewaffnete, ihre Pharisäer und Toten Tanten – heißen Kakao mit Rum – im Stich gelassen und auch vergessen, dass sie sich Christstollen bestellt hatten. Sie hatten nur noch Augen und Ohren für den Gast, der seiner Ofenkartoffel hinterherschrie.
    Aber wie gesagt – danach durfte ich mich in der Friedrichstraße nicht mehr blicken lassen. Ich weiß, wann genug ist. Es gibt ja noch die vielen Ferienwohnungen, die in der Zwischensaison durchweg ausgebucht sind. Klar, die Balkontüren sind nicht so häufig geöffnet wie im Sommer, aber gelüftet wird immer mal. Und komischerweise wollen die meisten Touristen auch im Urlaub einen Weihnachtsbaum haben, um das Fest zu feiern, vor dem sie nach Sylt
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