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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen
Autoren: Michelle Stöger
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lief das Wasser im Schnabel zusammen. Das war die Dose mit dem Weihnachtsgebäck! Die Frau hatte wirklich nicht viele gute Eigenschaften, aber backen konnte sie, das musste man ihr lassen. Ihre Lebkuchen waren sensationell. Gleich nach ihrer Ankunft auf Sylt hatte ich ein Stück klauen können, als die Dose offen in der Nähe der Terrassentür stand.
    Ich legte die Flügel wieder an und hüpfte unauffällig über die Terrasse. Vielleicht hatte ich Glück, und das Telefon läutete. So wie neulich ein Haus weiter, als ich auf diese Weise zu einer Marzipankartoffel gekommen war.
    Doch leider verlief die ganze Angelegenheit sehr unbefriedigend für mich. Das Telefon blieb stumm, ständig hielt sich der Mann in der Nähe des Weihnachtsgebäcks auf und ließ es nicht aus den Augen, während er die Wurzeln der Pflanze wusch, schälte und schließlich in winzige Würfel zerschnitt. Dann mischte er Puderzucker mit Zitronensaft und rührte so lange in dem Zuckerguss herum, dass mir schon wieder ganz fad wurde. Hätte ich nicht gewusst, dass in der Dose köstliche Zimtsterne waren, wäre ich längst zur Kurpromenade geflogen, um mich in der Nähe des Imbiss-Standes umzuschauen, der heiße Crêpes verkaufte. Dann aber traute ich meinen Augen nicht. Der Mann mischte ein paar Würfel der zerkleinerten Wurzeln in den Zuckerguss. Dann holte er einen Backpinsel, suchte den schönsten und größten Zimtstern aus der Gebäckdose und verpasste ihm eine zweite Glasur. Die feinen Würfel der Blumenwurzeln sahen aus wie gehackte Mandeln. Hm, lecker! Der Zimtstern hätte bei Leysieffer nicht köstlicher aussehen können!
    Aber was half’s? Wenn der Mann noch lange dastand und den Zimtstern betrachtete, als hätte er die englischen Kronjuwelen vor sich, würde ich wohl versuchen müssen, vor dem Café Wien ein paar Weihnachtsurlauber zu erschrecken, damit sie ihren Apfelstrudel im Stich ließen. Oder schräg gegenüber, vor dem Black & White, wo sie unter dem Heizpilz saßen und versuchten, den warmen Kirschkuchen mit ihren dicken Fäustlingen zu essen. Ein gefundenes Fressen für eine Silbermöwe! Obwohl ich sagen muss, dass für mich nichts über selbstgebackene Weihnachtsplätzchen geht. Das Cappuccinotörtchen, das ich neulich einer Frau aus der Hand stibitzt habe, kaum dass die Tür vom Café Luzifer hinter ihr zugefallen war, schmeckte auch nicht schlecht, aber wie gesagt … Zimtsterne sind für mich das Höchste. Erst recht mit ganz viel Zuckerguss.
    Deswegen zog es mich auch eine Stunde später noch einmal in die Nähe von St. Niels, um zu sehen, ob die Terrassentür noch immer geöffnet war.
    Nein, sie war geschlossen. Leider! Die Frau stand auf der Terrasse, und ich hörte, wie sie durch die geschlossene Scheibe rief: »Das könnte dir so passen! Immer willst du den Zimtstern mit der dicksten Glasur! Dabei bin ich es, die stundenlang in der Küche steht und bäckt!«
    Die Antwort des Mannes war nicht zu hören. Wahrscheinlich hatte er sich hinter einer Zeitung verschanzt, wie ich es schon im Sommer beobachtet hatte, und versuchte zu vergessen, dass er verheiratet war.
    Die Frau trug eine Winterjacke, schlammfarben, wie sie gut zu ihrem Teint passte. So dick wattiert war sie, dass ihr Körper die Ausmaße eines Sumo¯-Ringers angenommen hatte. Sie verzichtete darauf, die Kapuze über den Kopf zu ziehen, vermutlich, weil sie am Morgen beim Friseur gewesen war und die Innenrolle schützen wollte, die man ihr dort geföhnt hatte.
    Sie zog die Augenbrauen so hoch, dass sie unter dem ebenso sorgfältig geföhnten Pony verschwanden, und sah mich misstrauisch an. »Runter von unserem Gartenzaun! Wehe, du vergreifst dich an meinem Zimtstern!«
    Tatsächlich hätte ich am liebsten etwas geschrien, was sich anhörte wie: »Her mit dem Zimtstern – oder ich beiße!« Aber mir blieb das Krächzen im Halse stecken. Denn kaum hatte die Frau ein Stück von dem Zimtstern abgebissen und genießerisch gekaut, war auch schon Schluss mit dem Genuss. Als sie den Zimtstern ein zweites Mal zwischen die Vorderzähne nahm, griff sie sich plötzlich an den Hals, wechselte die Gesichtsfarbe von fahl zu purpur und schließlich sogar zu violett. Dann fiel sie wortlos vornüber ins Gras, den Zimtstern noch zwischen den Lippen. Ihr Kopf federte auf der fleischigen Nase ein-, zweimal, und sie gab einen Laut von sich, als wollte sie ihrem Mann eine letzte Gemeinheit an den Kopf werfen. Doch dazu kam es nicht mehr. Ihr dicker Hintern vibrierte noch ein Weilchen,
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