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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen
Autoren: Michelle Stöger
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hinüber in die Küche und werde nicht enttäuscht. Ella stellt soeben die silberne Vase mit den Tannenzweigen auf ihren Küchentisch. Ich trete näher ans Fenster, um die Kugeln erkennen zu können. Sie hat für dieses Jahr die blauen und die roten gewählt. Aber da hängt noch etwas. Ich kann es nicht erkennen. Was ist das? Ella lächelt, hebt die Vase hoch und hält sie näher ans Fenster. Ich zucke mit den Schultern, greife hinter mich, wo noch immer das Fernglas liegt, setze es an und stelle scharf. Laufschuhe? Laufschuhe. In Miniaturformat. Ich senke das Fernglas, recke den Daumen. Ella lacht und stellt die Vase an ihren angestammten Platz zurück. Sie wird sich jetzt ihrem Spiegelei widmen. Es ist gut so, wie es ist, denke ich, während mein Sechs-Minuten-Ei vor sich hin köchelt. Zu Weihnachten werde ich mir Laufschuhe schenken.
    Noch vier Tage bis Heiligabend.

Autorenvita
    Helga Beyersdörfer, geborene Südhessin, studierte in Frankfurt am Main, bevor sie eine Ausbildung zur Journalistin absolvierte. Sie arbeitete unter anderem als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau und beim Stern, schrieb Reportagen für das ZEITmagazin und die Berliner Morgenpost. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1998 .
    Helga Beyersdörfer lebt als freie Autorin in Hamburg.Zuletzt erschienen:
Moornächte
( 2009 ) und
Irrlichter
( 2011 ), beide bei Droemer Knaur.

[home]
    Regine Kölpin
    Die Weihnachtskrähe
    Carolinensiel
    In der Weihnachtszeit denkt man an nichts Böses, ist gefangen vom Duft des Friedens, der aus getrockneten Orangenschalen, Kerzenwachs und Tannennadeln in alle Nasen dringt. Wesentlich sind das Festessen, die Geschenke und natürlich die zu schaffende Atmosphäre. Auch ich hatte den Kopf voll mit allen möglichen Dingen, dachte wirklich an alles. Nur nicht an Mord und Totschlag, und schon gar nicht, dass mir Oma Martha vor die Füße fallen könnte.
    Aber genau das passierte. Vier Tage vor dem Fest. Ich stand im Garten des Pflegeheims, wurde aus dem offenen Fenster gerade mit
Süßer die Glocken nie klingen
berieselt, als neben mir eine fette schwarze Krähe aufflog und ihr heiseres Krächzen von sich gab. Das ist hier an der Küste nichts Besonderes, die Krähenschwärme haben sich überall angesiedelt und sind vielen ein Dorn im Auge.
    Im selben Augenblick jedoch hörte ich einen dumpfen Aufprall, und schon schlug meine Oma neben mir auf. Zugegebenermaßen war das ein höchst unglücklicher Zeitpunkt, so kurz vor Weihnachten. Eine tote Oma passte nicht so gut ins Konzept, und als ich allein vor ihr stand, war ich leicht überfordert und wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte.
    Ich trat einen Schritt näher. Sehr bedrohlich wirkte das Ganze eigentlich nicht, immerhin hielt sich die Größe des Blutfleckes in Grenzen. Es war nur ein winziges Rinnsal, das sich seitlich aus einer Kopfwunde schlängelte. Gravierender waren die Zähne, die sich beim Aufprall den Weg nach draußen gesucht hatten und teilweise in ihre einzelnen Bestandteile zerfallen waren. Das sah wirklich nicht gut aus, und auch, dass Oma Martha ihr Haar zuvor scheinbar nicht frisiert hatte, tat dem Gesamtbild einen Abbruch.
    Doch ich war nicht da, um über Oma Marthas letztes Bild zu urteilen.
    Ich war mir sicher, dass sie nicht freiwillig vom Balkon gefallen war. Doch mein Blick konnte nichts und niemanden ausmachen. Keine Gardine bewegte sich, kein Laut war zu hören. Ich stand allein im Garten, nur dieses schwarze Vogelungeheuer hüpfte über den gefrorenen Rasen, getragen von den noch immer weihnachtlichen Melodien, die aus dem Fenster des Speisesaals quollen.
    Ich fürchtete, dass der Mörder mich beobachtete. Bestimmt lauerte er irgendwo, überwachte jede meiner Handlungen. Vielleicht war er unsicher, ob Oma Martha wirklich das Zeitliche gesegnet hatte. In dem Fall befand er sich in großer Gefahr, denn eine halbtote Oma Martha wäre durchaus in der Lage, ihn zu verraten. Oma Martha war zeit ihres Lebens zäh gewesen, sie würde auch fast scheintot den mutmaßlichen Mörder noch nennen können. Doch er konnte beruhigt sein, es gab keinerlei Zweifel. Oma Martha weilte nicht mehr unter den Lebenden.
    Natürlich zermarterte ich mir schon hier den Kopf, wer der oder die Schuldige sein könnte. In der Verwandtschaft galt Oma Martha nicht als die liebevolle Großmutter. Kinder waren ihr ein Graus, sie duldete nur mich als erwachsene Enkelin in ihrer Nähe, und ich war damals die Einzige gewesen, die ihre Wohnung betreten
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