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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi
Autoren: Justina Robson
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sich, als sie ihr Zeug packten, gab es keinen besseren Zeitvertreib, während er auf seinen Flug nach Westen wartete.
    George hatte sie über die Nebenstraßen hinausgefahren, dann waren sie ein paar Meilen zu Fuß durch den Neuschnee gestapft, der ebenso dick und tief lag, wie sein Fall still und sanft gewesen war. Jude sank bis zu den Knien ein, bevor das Pulver genügend zusammengedrückt war und ein Geräusch von sich gab, das ihm durch die Schuhsohlen drang.
    George hatte sich aus der Sammlung seines Vaters drei Waffen geliehen: einen Karabiner und zwei Gewehre. Jude mochte George nicht besonders und war nur wegen Ru mitgekommen. Für einen Einserkandidaten war Ru sehr unkompliziert, und er hatte noch nie an einer Jagd teilgenommen. Sowohl er als auch George entstammten weißen Familien mit sehr weit zurückreichenden Ahnentafeln und glaubten, dass Jude ihnen Glück brachte, wenn er mitkam, auch wenn sie es in seiner Anwesenheit nicht zugaben. Schließlich hatte keiner geglaubt, dass jemand allein deswegen, weil Indianerblut in seinen Adern floss, ein besserer Fährtenleser war oder sich besser auf den Wald einstellen konnte, doch Jude bemerkte sehr wohl, dass sie beide bei ihm nach Anzeichen wölfischer List, nach einem sechsten Sinn oder ähnlichem Unsinn Ausschau hielten. Beobachtet zu werden machte ihn befangen. Er wankte als Erster voran, ohne zu wissen, wohin es ging, und er war sich nur deshalb sicher, dass sie sich nicht verirren würden, weil sie eine deutliche Spur hinterließen, die man leicht zum Wagen zurückverfolgen konnte.
    Einige Stunden verstrichen, und George sagte sich, dass sie beinahe an der richtigen Stelle angelangt seien.
    »Okay, Tonto, halt-o«, sagte er mit der gezwungenen Freundlichkeit von jemandem, der wohlbedacht eine Beleidigung ausspricht, und holte sein Fernglas hervor, um die Landschaft zu betrachten.
    Jude beachtete ihn nicht und folgte weiter dem Waldrand an einer offenen Wiese. Ru sprang eilig neben ihn und blickte ihn entschuldigend an. Ru steckte in der Zwickmühle: Einerseits buhlte er um Georges Anerkennung, andererseits wollte er, dass Jude mit ihnen beiden gut Freund blieb. Was Rus Dummheit anging, konnte Jude nur resigniert die Achseln zucken. Sein Gewehr war so kalt, dass es seine Hände trotz der Polartec-Handschuhe taub werden ließ, und davon abgesehen war es von einer bleiernen Schwere und unbequem, ganz gleich, wie er es hielt. Augenblicke später bemerkte George, dass sie weitergingen, und stapfte ihnen eilig hinterher. Jude hörte Schnaufen und Keuchen, ein Abkämpfen, aber so betont, dass sich ihm die Nackenhärchen aufstellten.
    »Jetzt mach mal halblang!«, knurrte George, packte die Kapuze von Judes Parka, zog sich daran an ihnen beiden vorbei und übernahm die Führung.
    »He, was war denn das?«, rief Ru und deutete auf die hohen, dünnen kahlen Baumstämme, die sich nach rechts erstreckten. Dazwischen bewegte sich nichts, nur ein Schauer von Eiskristallen fiel von einem hohen Ast.
    Der Wind krümmte einen unsichtbaren Finger um die oberste Schicht des Pulverschnees und warf ihn in einem Wirbel um die Beine.
    Sie rutschten immer wieder aus und stolperten in Erdlöcher, die sich unter dem weichen Schnee verbargen. Dabei machten sie genug Lärm, um bis nächsten Dienstag jedes Wild zu verscheuchen, sagte Jude sich froh. Er hoffte, sie bekämen kein einziges Tier zu Gesicht. Eher hätte er George niedergeschossen, der unablässig davon sprach, wie gern er nach Kanada fahren und einen Eisbären abknallen würde, einen echten leibhaftigen Berserker.
    George stammte aus Boston, doch bei der Jagd gefiel er sich darin, den Kentuckydialekt nachzuahmen. Jude beobachtete mit trauriger Eifersucht und bösen Ahnungen, wie Ru eifrig George zustimmte und kichernd und johlend bekundete, dass er es sehr witzig fände, wenn George einen Eisbären erlegte. George war es todernst. Wütend funkelte er Ru an.
    »Halt den verdammten Karabiner über dem Schnee, ja? Wenn du ihn in die Scheiße tunkst, funktioniert er nicht mehr.«
    »Pst!«, machte Ru und drückte sich die Waffe an die Brust. Im kommenden Herbst würde er in Oxford mit dem Studium der Anglistik beginnen. Jude glaubte manchmal, dass Ru unter einer Geistesstörung leide, dem Asperger-Syndrom vielleicht, einer Anomalie jedenfalls, die ihn beeinflussbar erscheinen ließ. Er beobachtete Ru, wie er den kurzen Lauf abwischte und den Gewehrkolben tätschelte, und fragte sich, wie es ihm in England wohl ergehen
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