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Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Titel: Das Vermaechtnis des Will Wolfkin
Autoren: Steven Knight
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1. Kapitel
    I ch heiße Toby Walsgrove, und bevor ich anfange, euch meine Geschichte zu erzählen, sollte ich vielleicht kurz erklären, wer ich bin.
    Ich wurde vor vierzehneinhalb Jahren im Royal Free Hospital in Hampstead, London, geboren. Meinen Namen habe ich von den Krankenschwestern dort bekommen. Eine von ihnen muss einen Kater namens Toby gehabt haben, und da bei meiner Geburt meine Ohren leicht zugespitzt waren wie die einer Katze, gaben sie mir den Namen Toby. Aber das ist schon in Ordnung. Ich empfinde es kein bisschen als Kränkung. Ich mag Katzen. Eine Katze hat mir einmal das Leben gerettet, aber davon erzähle ich später.
    Meinen Namen habe ich deshalb von den Schwestern bekommen, weil sich meine Mutter wenige Stunden nach meiner Geburt aus dem Staub gemacht hat. Ich weiß nichts über sie, man hat mir nur gesagt, es sei ihr nicht gut gegangen und sie sei nicht in der Lage gewesen, für mich zu sorgen. Ich war also kaum in dieser Welt aufgetaucht, da ließ sich bereits ahnen, dass ich kein gewöhnlicher Junge war. Die meisten Babys zappeln und ballen ihre kleinen Fäuste, als wären sie empört darüber, dass sie der Geborgenheit im warmen Bauch ihrer Mütter entrissen werden. Ich dagegen rührte mich nicht, als ich auf die Welt kam.
    Ich war am ganzen Körper gelähmt.
    Aber ich werde mich nun nicht in langweilige Einzelheiten meines Gesundheitszustandes verlieren, nur so viel: Man stellte fest, dass bei mir von Geburt an praktisch nichts funktionierte. Die lateinische Bezeichnung für meine Krankheit ist Statische Enzephalopathie , was in Wahrheit einfach heißt: » Nichts funktioniert.« (Warum fangen Ärzte plötzlich an, lateinisch zu reden, sobald es darum geht, jemandem die entscheidende Information zu geben? Man muss sich mal vorstellen, Automechaniker würden das auch so machen! Wenn sie in dem Moment, in dem sie erklären sollen, was an dem Wagen kaputt ist, plötzlich mohikanisch reden würden!) Aber wie auch immer, die Ärzte hatten zwar einen Namen für meine Krankheit, aber keine Ahnung, wie man sie heilen könnte.
    Aber bitte, so ist das Leben. Es besteht sowieso zum größten Teil aus Tja nun hier und Ach, du meine Güte dort.
    Es ist komisch. Man ist in einem bestimmten Zustand geboren und versteht überhaupt nicht, wie es ist, anders zu sein. Bevor diese Geschichte anfing, hatte ich nur absolute Passivität und Machtlosigkeit gekannt. Ich war wie ein vom Frost überzogenes Fenster, durch das Passanten gerade mal so hindurchblinzeln konnten. Drinnen nur dunkle Möbel und irgendwo ein schwacher Schein … vielleicht ein Computermonitor, auf dem der Bildschirmschoner lief.
    Ich konnte hören, aber nicht sprechen, ich konnte mich berühren lassen, aber selbst niemanden berühren. Doch ich konnte denken .
    In den ersten vierzehn Jahren meines Lebens war ich nichts weiter als ein Denkprozess außer Kontrolle. Die ganze Kraft und die Energie, die meine Muskeln hätten stärken sollen, flossen in mein Vorstellungsvermögen. In Gedanken flog ich zum Mars, verwandelte mich in eine Ligusterhecke, tanzte auf einem Stecknadelkopf, gründete eine Stadt, leuchtete im Dunkeln wie ein Glühwürmchen … Lauter solche Dinge. Alles, um die Zeit totzuschlagen.
    Ich »lebte« (man beachte die Anführungszeichen) in einem Kloster der Karmeliterinnen, das an einer belebten Straße in East Finchley, London, hinter hohen Mauern verborgen lag. Es wirkte wie ein leicht heruntergekommenes Schloss oder ein düsteres Gefängnis mit wohlmeinenden Wärterinnen. Das ganze Haus roch nach Feuchtigkeit, ausgebratenem Speck und besonders nach Kohl. Die Böden in den Gängen waren aus Stein, es gab billige Lampenschirme und helle Glühlampen, die die Nonnen immer in Mengen einkauften, weil durch die schmalen Fenster nicht genug Licht einfallen konnte.
    Ich saß Tag für Tag neben einem dieser Fenster, den Kopf von einem Metallgestell gestützt, und bombardierte die Scheiben mit meinen Gedanken. Es wundert mich, dass sie nicht zersprangen …
    Ich wurde von Nonnen versorgt, und man könnte leicht auf die Idee kommen, alle Nonnen wären gleich. Aber das stimmt nicht. Freundlich waren die meisten, das schon, nur wenn es um echtes Mitgefühl ging, versagte ihr Gespür manchmal. Sie trugen dieses übliche Nonnenoutfit, lange schwarze Gewänder aus schwerem Stoff, die nach Kleiderschrank und manchmal (heilige Mutter Gottes!) nach Zigarettenrauch rochen. Da war Schwester Cremer, die älter war als der Mond, Schwester Bagshott,
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