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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder
Autoren: Anna Geller
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die Klinke schon in der Hand, drehte sich aber wieder herum und giftete: „Und mach das nicht nochmal mit mir, Heinz! Ich hatte ´ne Scheißangst!“
    Sie ergriff die Flucht und knallte die Tür, wie es sich in einem Krankenhaus eigentlich nicht gehörte.
     
    Als die Oberschwester Irmgard zehn Minuten später ins Zimmer kam, um den Blutdruck zu messen, lag ihr Patient auf dem Rücken, starrte die Decke an und lächelte selig. Anscheinend war ihm gerade etwas Wunderschönes wiederfahren. Seltsam. War doch eben nur seine Vorgesetzte bei ihm gewesen. Diese unfreundliche Vogelscheuche.
    „Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte sie vorsichtig, weil Hellwein sie überhaupt nicht zur Kenntnis nahm.
    Verträumt sah er zu ihr auf. „Sie hatte Angst um mich“, flüsterte er versonnen. „Sie hatte wirklich und wahrhaftig Angst um mich.“
    Schwester Irmgard kam zu dem Schluss, dass Hellweins Blutdruck im Moment sowieso katastrophale Werte zeigen würde und verließ kopfschüttelnd das Zimmer.
     

Samstag, 26. Januar
     
    Zum dritten Mal landete der Gips nicht an der Wand, sondern mit einem lauten „Platsch“ auf der Folie, die den grauen Teppichboden schützte. Chris stand auf einer mit alter Farbe bekleckerten Holzleiter und mühte sich vergeblich, ein ziemlich großes Loch im Putz zuzuschmieren. Die Haare hingen ihm wüst in der Stirn, Hose, Sweatshirt und Hände waren mit angetrockneter Spachtelmasse übersät. Fußsohlen und Schienbeine taten ihm weg, weil er schon seit Stunden auf den dünnen Sprossen der Leiter stand. Auf seiner linken Wange spannte etwas. Als er danach fühlte, bröckelte Gips nach unten. Wie, zum Teufel, kam dieses Zeug auch noch in sein Gesicht?
    Nebenan hörte er das Schaben von Karins Spachtel, die Tapete abkratzte. Über ihm rumorten die Anstreicher, die Theo besorgt hatte und die nun an den Wochenenden hier arbeiteten. Die „Eigenleistung“ von Karin und Chris bestand im Tapete entfernen und spachteln. „Kann jeder Idiot“, hatte einer der Anstreicher gesagt …
    „Ich würd ihn dicker machen!“
    „Was?“ Chris wirbelte herum und verlor beinahe das Gleichgewicht. Markus stand unter ihm und musterte kritisch das Loch in der Wand. Über seine linke Wange lief ein Strich gelber Wandfarbe. Auf dem Kopf wippte ein Papierhütchen, das die Anstreicher ihm gebastelt hatten. Darunter quollen dicke rote Locken hervor.
    „Den Gips. Wenn er dicker ist, läuft er nicht mehr aus dem Loch.“
    Klugscheißer, dachte Chris.
    „Heißer Tipp“, sagte er jedoch. „Besorgst du uns Kaffee? Ich komm zu Karin rüber.“
    „Aye, aye, Käpt´n!“ Der Kleine flitzte los und Chris sah ihm grinsend hinterher. Bisher hatte er jedes Wochenende auf der „Baustelle“ verbracht, wie er das kleine krumme Haus in Hürth nannte, und war trotz seiner zehn Jahre unentbehrlich geworden. Vor allem für Karin. Ihre Aufgabe war es, alle Tapeten, die sie im Stehen oder Sitzen erreichen konnte, abzureißen und die entsprechenden Stellen zu spachteln. Chris kümmerte sich dann um die Bereiche, an die man nur mit einer Leiter kam.
    Markus trug „seine“ Karin auf Händen. Er rückte ihren Stuhl weiter, wenn sie eine Stelle bearbeitet hatte, trug den Eimer mit Tapetenlöser hinterher und stopfte die durchweichten Abfälle in blaue Müllsäcke, die sein Vater regelmäßig in seinen Kombi lud und zur Müllkippe fuhr. Sein „Baba“ wie Markus ihn seit kurzem nannte. Chris wusste nicht, was da zwischen den beiden gelaufen war, was sie beredet hatten. Er wollte es auch gar nicht wissen. Er sah nur, dass es den „Männern“ gut bekam.
    Er ließ Füllspachtel Füllspachtel sein, kletterte steifbeinig von der Leiter und sah eine Weile durch das Glas der Terrassentür nach draußen. Ein wenig Schnee war gefallen und der Rasen war mit weißem Puder überzogen. Unter dem Walnussbaum zankten ein paar Amseln und flogen schimpfend davon, als eine ausgemergelte schwarze Katze durch die Hecke kroch. Mit federndem Gang stolzierte sie quer über die Wiese und verschwand in den Büschen auf der anderen Seite.
    Chris seufzte auf, dachte an Frühling, Schneeglöckchen und Krokusse. Und daran, wie lange er sich heute wohl noch mit den Löchern in der Wand befassen musste. Mit spitzen Fingern fummelte er die Uhr aus der Hosentasche, die dort steckte, um sie vor Gips, Kleister und Farbe zu schützen. Erst vier. Zwei Stunden also noch. Beinahe liebevoll betrachtete er das Zifferblatt, hauchte das Uhrglas an und polierte es an den wenigen
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