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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder
Autoren: Anna Geller
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Ärzten, Besatzung, aufgeklappten Notfallkoffern, Rufen und Anweisungen.
    Es war zunächst nicht möglich, zu Karin vorzudringen. Sanitäter und Feuerwehrleute drängten Chris zurück. Erst Susannes Dienstausweis und ein paar Worte mit einer Frau, die offensichtlich Notärztin war, bahnten ihm endlich einen Weg.
    Karin war in eine silberfarbene Isolierdecke eingepackt. Darunter verlor sich der Schlauch einer Infusionsflasche, die ein Sanitäter hielt. Ihr Gesicht war blau angelaufen, die Lippen violett. Das nasse Haar klebte an ihrem Kopf und über die rechte Wange zog sich eine lange blutige Schramme. Aber sie hatte die Augen geöffnet und fand den Blick von Chris.
    „Bin okay“, krächzte sie.
    Er ging in die Hocke und tastete unter der Decke nach ihrer Hand. Sie war kalt wie Eis.
    „Steifen Grog gefällig?“ Kitzelnd lief eine Träne an seiner Nase vorbei.
    „Wenn Sie´s auf morgen verschieben, trink ich einen mit“, grinste die Ärztin und kniete sich auf die andere Seite, um Karins Puls zu fühlen. „Jetzt sehen wir erst mal zu, dass wir hübsch langsam wieder auftauen.“
    Sie schien mit dem Puls zufrieden und stopfte Karins Arm wieder unter die Decke. „Sie haben ´ne Pferdenatur“, stellte sie dabei trocken fest.
    „Esel“, murmelte Karin und sah Chris dabei an.
    Plötzlich versuchte sie sich aufzurichten. Chris hatte alle Mühe, sie davon abzubringen.
    „Der Junge! Was ist mit dem Jungen?“
    „Er lebt“, antwortete die Ärztin mit einem vielsagenden Blick zu Chris. Mehr nicht. Aber Karin gab sich mit dieser Information zufrieden und schloss erschöpft die Augen.
     
    Was auch immer sie hinter den verschlossenen Türen der Notaufnahme im Porzer Krankenhaus gemacht hatten — als Karin auf Station gebracht wurde, schlief sie tief und fest. Ihre Lippen waren dabei, einen normalen Farbton anzunehmen. Das blonde Haar war zerwühlt, aber trocken.
    Die diensthabende Ärztin begleitete das Bett in den zweiten Stock. Sie war klein und rundlich und erinnerte Chris ein wenig an seine Exfreundin Anne.
    Karin wurde in ein Einzelzimmer mit grünen Vorhängen und gelb gestrichenen Wänden geschoben. Die Ärztin schloss die Tür von innen und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Was war hier los? Einzelzimmer? Krankenhauspersonal, das Zeit hatte?
    „Die Polizei hat das veranlasst“, erklärte die kleine Medizinerin leise, als hätte sie seine Gedanken erraten. „Sie stellen das Zimmer unter Bewachung, unten lauern nämlich schon die ersten Pressefritzen.“
    Sie deutete mit dem Kopf auf die schlafende Karin. „Ist sie immer so spontan?“
    „So extrem meistens nicht.“ Chris lachte verhalten auf. „Gott sei Dank!“
    „Sie wird jetzt eine Weile schlafen, und in ein, zwei Tagen ist sie wieder in Ordnung. Wird höchstens eine gehörige Erkältung bekommen. Sie könnten also ruhig nach Hause fahren …“
    „Ich bleibe hier“, unterbrach Chris sie schnell.
     
    Er saß einfach da und hielt Karins immer noch eiskalte Hand. Erschöpft und erleichtert. Es war vorbei, endlich vorbei.
    Vor dem Fenster klopfte der Regen auf das Blechsims, klatschte manchmal an die Scheibe. Auf dem Gang tappten leise Schritte, gleichzeitig rollte und klapperte es verhalten. Aus seinem Mantel, den er über den zweiten Stuhl geworfen hatte, tropfte Wasser auf den hellen Boden.
    Als die Tür geöffnet wurde und Susanne ins Zimmer schlüpfte, schrak er zusammen. Ihr Gesicht war grau und kantig.
    Hellwein! Den hatte er völlig vergessen.
    „Wie geht es ihr?“ Susannes Stimme klang heiser.
    „In zwei Tagen ist sie wieder fit. — Sanne …“
    „Sie finden ihn nicht“, presste die Kommissarin hervor. „Sie suchen diesen ganzen verdammten Fluss ab und finden ihn nicht!“
    Ihm zog sich das Herz zusammen, als er fragte: „Wie lange ist er jetzt schon da draußen?“
    Sie sah ihn mit brennenden Augen an. „Zu lange, Chris. Viel zu lange.“
    Abrupt wandte sie sich zur Tür. „Ich muss mich um die Albertini kümmern.“ Lautlos verschwand sie nach draußen.
    Chris starrte ihr lange hinterher und kaute nervös auf seinen Lippen herum. Susanne tat genau das, was sie immer tat, wenn ihr etwas furchtbar an die Nieren ging — sie machte ihren Job. Wie damals, als Peter gestorben war. Eine Woche nach seiner Beerdigung hatte sie sich zum Dienst zurückgemeldet und so getan, als sei nichts geschehen.
    Und jetzt Hellwein. Chris hatte sich nie viele Gedanken über ihn gemacht. Er war einfach „da“. Erst bei Susannes Zusammenbruch
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