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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder
Autoren: Anna Geller
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Erklärung zu stammeln versuchte. Er konnte sich nicht mal als Polizist ausweisen, denn seine Brieftasche steckte in der Daunenjacke, die auf dem Deck der „Schneekönigin“ lag. Irgendeinem vernünftigen Menschen fiel dann aber doch sein Zustand auf. Er packte Hellwein in eine Decke und rief den Krankenwagen.
    Und nun lag er hier mit dem Arm in der Schiene. Doppelte Handgelenkfraktur. Phantastisch! Und dass eine einbeinige Frau es geschaffte hatte, gegen die Strömung zu kämpfen und auch noch den Jungen retten konnte, setzte dem Ganzen die Krone auf. Eine Frau. Eine Behinderte, wie sämtliche Lokalblätter nicht müde wurden zu betonen.
    Als es klopfte und Susanne fast gleichzeitig ins Zimmer trat, warf er die Zeitschrift schnell ins unterste Fach der Kommode neben seinem Bett. Sie musste nicht unbedingt sehen, dass er im “Playboy“ gelesen hatte.
    Er sah zwei Mal hin, während sie sich einen Stuhl heranzog, drei Mal. Der nagelneue flaschengrüne Hosenanzug schlotterte zwar ein bisschen um den mageren Körper, stand ihr aber traumhaft gut. Die weiße Bluse darunter war ihm auch noch nie aufgefallen. Sie war gebügelt und die Applikationen auf dem Kragen passten farblich zum Anzug. Die Kommissarin hatte nicht nur Lidschatten aufgelegt, sondern auch einen Hauch von Lippenstift. Wenn ihn nicht alles täuschte, sogar ein wenig Rouge.
    „Dein Outfit ist umwerfend!“, platzte er raus.
    Die „eisige Braun“ wurde rot wie ein Feuermelder und überging seine Bemerkung. „Karin Berndorf gestern Morgen entlassen, Dennis kommt übermorgen raus, Albertini hat gestanden“, berichtete sie stattdessen im Telegrammstil.
    „Und?“
    „Sie redet wie ein Wasserfall. Breitner braucht ihr nur ein Stichwort zu liefern und schon sprudelt sie los.“ Susanne verzog angewidert das Gesicht. „Sie ist völlig durch den Wind, sage ich dir. Ketzer meint, sie leidet wahrscheinlich an paranoider Schizophrenie. Aber das werden die Gutachter letztendlich klären müssen. Auf jeden Fall hat sie Wahnvorstellungen. Sie glaubt, dass sie verdammt ist und in der Hölle schmoren muss, weil sie unehelich geboren wurde. Deshalb gibt Gott ihr auch keine Antwort, wenn sie betet. Hinzu kommt ihre panische Angst vor dem Alleinsein. Als ihr dann durch Monika Seibolds Ausruf vor der Kirche klar wurde, dass ihre geliebte Claudia nun ebenfalls allein sein muss, ist sie durchgedreht. Bis Lucia und Gregor ihr gesagt haben, was sie tun muss.“
    „Wer, zum Teufel, sind die beiden denn nun?“, unterbrach Hellwein sie. „Habt ihr die gleich mitverhaftet?“
    Susanne legte Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel und lächelte gequält. „Wenn du´s genau nimmst: Ja, auch Lucia und Gregor haben wir verhaftet. Es sind Stimmen, Heinz! Sie existieren nur im Kopf der Albertini. Dabei ist Gregor identisch mit Albertini — oder andersherum. Genau hab ich das noch nicht kapiert. Aber Lucia war angeblich die treibende Kraft dabei. Sie ist auf die Idee gekommen, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Albertini musste ein Kind töten, damit Claudia Gesellschaft hat und gleichzeitig sollte Gott klar werden, wer ihm dieses Opfer bringt. Also musste es ein Mantelkind sein wie sie selbst. Lucia meinte, Gott würde so endlich mit ihr reden.“
    „Und als Annika tot war, aber Gott immer noch nicht antwortete, hat sie´s weiter versucht“, ergänzte Hellwein düster. „Himmel! Hat denn nie jemand gemerkt, dass sie … Wie hieß das?“
    „Paranoide Schizophrenie. Ich hab da heute Morgen mal ein bisschen im Internet recherchiert. Menschen mit dieser Krankheit funktionieren im alltäglichen Leben häufig ganz normal. Und Albertini hat niemandem von ihren einseitigen Gesprächen mit Gott etwas gesagt. Auch nicht in der psychiatrischen Klinik, in der sie ein paar Mal war. Denen hat sie auch Lucia und Gregor verschwiegen. Wir hatten noch keine Zeit, die Krankenakten genau zu studieren. Aber mehr als depressive Störungen und relativ leichte Psychosen sind dort offenbar nie diagnostiziert worden.“
    „Wisst ihr schon Einzelheiten?“
    „Klar! Ich sag ja: Sie redet und redet und redet. Sie liebt Wasser, den Rhein und vor allem den Auenwald in Weiss. Wie Karin Berndorf vermutet hatte, ist sie beim ersten Mal mit der Schneekönigin quer über den Fluss gefahren, hat Annika an den Baum gebunden, erdrosselt, gekämmt und schließlich zugedeckt.“
    „Und warum hat sie bei Sonja einen anderen Ort gewählt?“
    „Tja, das war zunächst mal der einzige Punkt,
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