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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder
Autoren: Anna Geller
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war ihm klar geworden, dass Hellwein nicht nur ihr „Schatten“ war. Offenbar verband die beiden mehr miteinander, als sie sich je gegenseitig eingestehen würden.
    Und nun würde man in ein oder zwei Wochen in Dormagen oder auch im Duisburger Hafenbecken eine Wasserleiche bergen. Wie würde man ihn identifizieren? Anhand seiner durchweichten Brieftasche? Seines verwaschenen Dienstausweises? Oder nur noch durch einen Gebissabdruck? Wie sehr würden die Fische an ihm genagt haben? Ein kalter Schauer lief Chris über den Rücken. Er kannte die einschlägigen Obduktionsberichte. Fische fraßen Augenhöhlen leer, knabberten an Lippen, Ohrläppchen, Nasen, schienen ganz versessen auf Weichteile …
     
    Er wachte auf, als jemand leicht seine Schulter berührte. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe er sich orientiert hatte. Das Krankenzimmer, Karins Hand, die immer noch in der seinen lag, der harte Stuhl, auf dem er einfach weggedämmert war. Dann Susannes Augen, rot wie Klatschmohn. Die Lippen zu einem Strich zusammengepresst.
    „Keine Spur“, sagte sie auf seinen fragenden Blick und die Lippen wurden noch schmaler.
    Chris unterdrückte den Impuls, sie in die Arme zu nehmen. Die „eisige Braun“ hätte sofort die Flucht ergriffen.
    Er versuchte also, einen möglichst neutralen Ton an den Tag zu legen, als er fragte: „Was ist mit dem Jungen?“
    „Er hat ´ne Menge Wasser geschluckt, wird aber wohl durchkommen. Seine Mutter ist jetzt bei ihm. Und wenn er weiter so stabil bleibt, kann er morgen von der Intensiv runter. Albertini ist ansprechbar. Sie war nicht so lange im Wasser wie Karin. Karin hat ihr wohl zwei Zähne ausgeschlagen.“ Susanne rang sich ein Lächeln ab. „Die ´WSP6` hatte sie gerade entdeckt, als sie aufeinander losgegangen sind.“
    „Hat sie schon eine Aussage gemacht?“
    „Nein. Da müssen wir bis morgen warten. Immerhin — wir haben sie unter Bewachung. Die bringt kein Kind mehr um!“
    „Susanne?“ Der kleine, ewig aufgeregte Müller steckte den Kopf zur Tür herein. Die dunklen Locken waren zerwühlt und seine Krawatte hing schief. „Im Severinskloster ist gerade ein Oberkommissar Hellwein aus dem OP gekommen. Diese Idioten haben die ganze Zeit nicht daran gedacht, jemanden zu benachrichtigen.“
    Es dauerte ein paar Sekunden, ehe Susanne verständnislos sagte: „OP?“
    Müller schob sich vollends ins Zimmer und lehnte sich gegen die Tür. „Eine Fraktur, glaube ich. Aber Genaueres weiß ich auch nicht.“
    Er lächelte sie unsicher an und sah zu Chris, der hörbar ausatmete.
    Susanne ging zum Fenster, schob die Vorhänge zurück und sah auf die Laternen der Kölner Straße. Gleich dahinter war ein dunkel schimmerndes Band — der Rhein. Sie senkte den Kopf und ballte die Hände zu Fäusten. Öffnete sie wieder, ballte sie … Chris hätte in diesem Augenblick viel um ihre Gedanken gegeben.
    Nach einer halben Ewigkeit, wie es schien, murmelte die Kommissarin gegen das Fenster: „Ich … ich fahr dann mal ins Klösterchen.“ Ohne die beiden anzusehen, huschte sie aus der Tür.  
     
     

Montag, 17. Dezember
     
    Hellwein blätterte ziellos in einer Zeitschrift und sah zwischendurch immer wieder auf seinen rechten Arm, der in einer Plastikschiene ruhte.
    Es nagte an ihm. Immer noch. Und die Aussicht in zwei Tagen nach Hause zu können, machte es auch nicht besser.
    Sein männliches Ego war ziemlich angekratzt. Er hatte sich ganz gewaltig überschätzt, nicht mit dieser Strömung gerechnet, nicht damit, dass die Kälte ihn so fertig machen würde. Er wurde einfach abgetrieben und konnte nichts dagegen tun, bis er sich am anderen Rheinufer wiederfand. Und als er, erschöpft wie er war, auf den glitschigen Steinen ans Ufer klettern wollte, war eine weiße pelzige Furie über ihn hergefallen. Ein Zwergpudel, der sein Frauchen gegen dieses Ungeheuer, das da aus dem Wasser stieg, verteidigen wollte. Der Tumult wurde entsetzlich. Der Pudel verbiss sich in Hellweins Hose, und bei dem Versuch, den Köter abzuschütteln, rutschte er auf den glatten Steinen aus und fiel hin. Er schrie vor Schmerz, Pudels Frauchen schrie vor Schreck ob des vermeintlichen Überfalls und der Hund kläffte hysterisch. Natürlich blieb das nicht unbemerkt. Aus den Villen oberhalb des Rheinufers kamen jede Menge Leute, um der Frau zu helfen. Alle redeten wild durcheinander, gestikulierten, wollten Hellwein ans Leder. Anfangs hörte niemand zu, als er mit klappernden Zähnen und stöhnend vor Schmerz eine
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