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Herzen aus Asche

Herzen aus Asche

Titel: Herzen aus Asche
Autoren: Narcia Kensing
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Hexenwerk

    Das Meer aus cremefarbenen und mokkabraunen Sprenkeln auf dem dunkelblauen Hochflorteppich erinnerte stark an ein Werk von van Gogh, doch Amelie bezweifelte, dass ihre Mutter die bleibenden Fettflecken als wertvolles Kulturerbe akzeptieren würde. Nicht jeder begeisterte sich für moderne Kunst, und wenn Amelie ehrlich war, schätzte sie die Fresken und Skulpturen der alten Meister ohnehin mehr als die bunten Eskapaden der Moderne. Davon abgesehen würde sie die Sahnekleckse nicht ewig im Teppich belassen können, Kunst hin oder her.
    Amelie verkniff sich ein entnervtes Seufzen und beu gte sich hinab, um die Reste ihrer Geburtstagstorte mit einem Taschentuch zurück auf den Teller zu schieben, den ihre Freundin Sara mit dem Ellenbogen vom Klapptisch gestoßen hatte.
    »Amelie, das tut mir schrecklich leid! Lass mich dir helfen.« Sie sprang von dem kleinen Angelhocker auf, den Amelies Mutter als Ergänzung zu den Küchenstühlen aus dem Keller geholt hatte. Es gab eindeutig zu wenig Platz in einem zwölf Quadratmeter großen Zimmer, zumindest, wenn man versuchte, sieben Personen darin unterzubringen.
    Sara hockte sich auf den Boden rieb die Flecken mit einer Serviette heraus, was das Desaster eher verschlimmerte als beseitigte.
    »Ist schon in Ordnung, du hast es nicht mit Absicht gemacht.« Amelie bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall, obwohl sie sich innerlich maßlos ärgerte. Ein fettiger Schandfleck mitten in ihrem tadellosen Zi mmer. Wunderbar.
    »Es ist aber auch wirklich ein wenig eng hier«, sagte Jarik. Amelie kannte ihn seit der Grundschule, und er schien sich seitdem kaum verändert zu haben. Er hatte immer schon jünger ausgesehen und musste auch mit einundzwanzig Jahren noch stets seinen Ausweis vorzeigen, wenn er eine Flasche Alkohol kaufen wollte. »Vielleicht ist es keine gute Idee gewesen, deinen Geburtstag bei dir zuhause zu feiern.«
    Amelie hätte am liebsten erwidert, dass dies nicht ihr Einfall gewesen sei. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre sie mit Sara allein einen Kaffee trinken gegangen, aber ihre Mutter hatte es bevorzugt, der halben Stadt vom zwanzigsten Geburtstag ihrer Toc hter zu erzählen. Und da Inger Ivarsson halb Uppsala kannte, hatte sich schnell herumgesprochen, dass es heute Torte und Eisschokolade in ihrem Haus geben würde. Amelie verbrachte grundsätzlich gerne Zeit mit ihren Freunden, aber alle zugleich in ihrem kleinen Zimmer? Das strapazierte ihre Nerven bis zur Grenze des Erträglichen. Vor allem auf ihren Cousin Thore hätte sie gerne verzichtet, aber die bucklige Familie konnte man sich nun einmal nicht aussuchen.
    Amelie verzichtete auf eine ehrliche Antwort und nickte stattdessen nur. »Ja, ich hätte woanders feiern sollen.«
    Sie stellte den Teller mit dem zermatschten Kuche nstück auf den behelfsmäßigen Klapptisch und wandte sich an ihre Freundin Sara, die mittlerweile damit aufgehört hatte, den Teppich mit der Serviette zu quälen. »Nimm dir einfach ein neues Stück. Es sind noch drei da.«
    Sara grinste und nahm sich einen frischen Kuchente ller vom Stapel. Dann zog sie ihren Minirock zurecht und ließ sich umständlich zurück auf den Angelhocker sinken. »Das hätte ich ohnehin gemacht. Und jetzt lach doch mal, du hast Geburtstag!«
    »Du hast recht, was interessiert mich ein Fleck im Teppich.« Amelie grinste zurück, obwohl sie nicht ehrlich empfand, was sie sagte. Sie beneidete Sara um ihre u nkomplizierte Art. In der Nähe ihrer modeverrückten und tadellos frisierten besten Freundin fühlte Amelie sich zwar stets wie das berüchtigte hässliche Entlein, doch zum Glück verstand Sara es, ihr diesen Gedanken mit kessen Sprüchen und geschicktem Wortwitz auszutreiben. Sie bildete sich nichts auf ihr ansehnliches Äußeres und das pralle Bankkonto ihrer Eltern ein, und deshalb gab Amelie sich Mühe, ebenfalls darüber hinwegzusehen.
    »Mein liebes Cousinchen ist schon immer ein wenig spießig gewesen, vor allem, was den Zustand ihrer G emächer betrifft«, riss Thore sie aus ihren Gedanken. Er saß im Schneidersitz auf dem Boden, mit dem Rücken gegen die gut erhaltene Schrankwand in Buchedekor aus den Neunzigern gelehnt. Mit seinen kurzen stämmigen Beinen wirkte er dabei wie ein Buddha. Er schenkte Amelie ein neckisches Grinsen. »Du studierst demnächst Kunst an der Universität. Ich dachte bisher immer, die Pinselschwinger seien alle chaotische Biolatschenträger mit exzentrischem Kleidungsstil. Aber wenn ich mir dich betrachte,
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