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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary
Autoren: Woelffe
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eine Flamme unter einem Glas bewahrt. Die Schauspiele von Schmerz und
Schande, die ich um mich herum sehe, die Unwissenheit, das gedankenlose Laster,
die Armut und der Mangel an Hoffnung, und ach, der Regen - der Regen, der auf
England fällt und das Korn faulen lässt, er löscht das Licht im Auge eines
Menschen und auch das Licht der Gelehrsamkeit, denn wer kann denken, wenn
Oxford eine Riesenpfütze ist und Cambridge flussabwärts gespült wird, und wer
soll dem Recht Geltung verschaffen, wenn die Richter um ihr Leben schwimmen?
Letzte Woche hat das Volk in York revoltiert. Was sollte es davon abhalten,
wenn der Weizen so knapp ist und der Preis doppelt so hoch wie letztes Jahr?
Ich muss die Justiz anstacheln, damit ein Exempel statuiert wird, denke ich,
denn sonst haben wir den ganzen Norden mit Hippen und Piken draußen, und wen
werden sie abschlachten, wenn nicht einander? Ich glaube wirklich, ich wäre
ein besserer Mann, wenn das Wetter besser wäre. Ich wäre ein besserer Mann,
wenn ich in einem Staat lebte, wo die Sonne scheint und die Bürger reich und
frei sind. Wenn es nur so wäre, Master More, dann würden Sie nicht halb so
inständig für mich beten müssen, wie Sie es tun.«
    »Wie Sie sprechen können«,
sagt More. Worte, Worte, nichts als Worte. »Aber natürlich bete ich für Sie.
Ich bete von ganzem Herzen, dass Sie erkennen, wie sehr Sie sich irren. Wenn
wir uns im Himmel treffen, wie ich es erhoffe, werden all unsere
Meinungsverschiedenheiten vergessen sein. Aber für den Augenblick können wir
sie nicht einfach verschwinden lassen. Ihre Aufgabe ist es, mich zu töten.
Meine ist es, am Leben zu bleiben. Das ist meine Rolle und meine Pflicht. Ich
besitze nur den Grund, auf dem ich stehe, und dieser Grund ist Thomas More. Wenn
Sie ihn haben wollen, müssen Sie ihn mir nehmen. Sie können nicht ernsthaft
glauben, dass ich ihn aufgeben werde.«
    »Sie werden Feder und Papier
brauchen, um ihre Verteidigung aufzuschreiben. Das gewähre ich Ihnen.«
    »Sie geben nie auf, richtig?
Nein, Master Secretary, meine Verteidigung ist hier oben«, er klopft sich an
die Stirn, »wo sie sicher vor Ihnen ist.«
    Wie merkwürdig der Raum ist,
wie leer ohne Mores Bücher: Er füllt sich mit Schatten. »Martin, eine Kerze«,
ruft er.
    »Werden Sie morgen hier sein?
Wenn der Bischof hingerichtet wird?«
    Er nickt. Obwohl er den
Augenblick von Fishers Tod nicht sehen wird. Das Protokoll schreibt vor, dass
die Zuschauer das Knie beugen und die Hüte ziehen, um das Hinscheiden einer
Seele deutlich zu machen.
    Martin bringt eine Kerze in
einem Halter. »Noch etwas?« Sie halten inne, während er sie hinstellt. Als  er
gegangen ist, halten sie immer noch inne: Der Gefangene sitzt gekrümmt da und
sieht in die Flamme. Wie soll er wissen, ob More ein Schweigen begonnen hat
oder ob er sich aufs Sprechen vorbereitet? Es gibt ein Schweigen, das dem
Sprechen vorausgeht, es gibt ein Schweigen anstelle des Sprechens. Man braucht
es nicht mit einer Äußerung zu brechen, man kann es mit einem Zögern brechen: wenn ...es könnte vielleicht
... möglicherweise ... Er sagt: »Ich hätte Sie gelassen, wissen Sie. Ihr
Leben zu Ende leben lassen. Damit Sie Ihre grausamen Taten bereuen. Wenn ich
König wäre.«
    Das Licht schwindet. Es ist,
als hätte der Gefangene den Raum verlassen und nur eine Kontur an der Stelle
zurückgelassen, wo er sein sollte. Zugluft zerrt an der Kerzenflamme. Befreit
von Mores hektischen Kritzeleien, hat der leere Tisch zwischen ihnen jetzt den
Anschein eines Altars angenommen; und wozu ist ein Altar da, wenn nicht für ein
Opfer? Endlich bricht More sein Schweigen: »Wenn, am Ende und nach meinem
Prozess, wenn der König nicht gnädig gestimmt ist, wenn die volle Härte der
Strafe ... Thomas, wie wird es gemacht? Man würde denken, dass ein Mann stirbt,
wenn ihm der Bauch aufgeschlitzt wird, dass er mit einem großen Blutschwall
stirbt, aber es scheint, dass es nicht so ist... Haben sie ein spezielles
Gerät, das sie benutzen, um jemanden auszuweiden, während er noch lebt?«
    »Es tut mir leid, dass Sie
denken, ich wäre ein Experte darin.«
    Aber hat er nicht Norfolk
erzählt, so gut wie erzählt, dass er einem Mann das Herz herausgerissen hat?
    Er sagt: »Es ist das Geheimnis
des Henkers. Es wird nicht gelüftet, damit wir uns davor fürchten.«
    »Lassen Sie mich sauber töten.
Ich bitte um nichts, aber darum bitte ich.« Auf seinem Hocker schaukelnd, gerät
er von einem Herzschlag zum nächsten in den
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