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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary
Autoren: Woelffe
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Hilary
Mantel
     
    Wölfe
     
    Roman
     
    Aus dem Englischen von Christiane Trabant
     
    Die
englische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Wolf Hall«
     
    »Es
gibt drei Arten von Schauplätzen: den ersten nennt man den tragischen, den
zweiten den komischen, den dritten den satirischen. Ihre Ausschmückung ist
jeweils unterschiedlich und anders in der Zusammenstellung. Tragische
Schauplätze werden mit Säulen, Giebeln, Statuen und sonstigen königlichen
Gegenständen versehen; der komische Schauplatz zeigt Privathäuser mit Balkonen
und Fensterfronten, die gewöhnlichen Häusern nachgebildet sind. Der satirische
Schauplatz wird nach Art eines gemalten Landschaftsbildes mit Bäumen, Grotten,
Bergen und anderen rustikalen Gegenständen ausgestattet.«
    Vitruvius, De Architecture!, über das Theater,
    ca. 27 vor Christi
     
    TEIL EINS
     
    Über
das enge Meer
    Putney, 1500
     
    »Und jetzt steh auf.«
    Niedergestreckt, benommen,
stumm; er ist gefallen, der Länge nach hingeschlagen auf die Kopfsteine des
Hofes. Sein Kopf wendet sich zur Seite; seine Augen richten sich auf das Tor,
als könnte jemand kommen, um ihm zu helfen. Ein einziger gut platzierter Schlag
könnte ihn jetzt töten.
    Blut aus der Wunde an seinem
Kopf rinnt ihm über das Gesicht - Ergebnis der ersten Anstrengung seines
Vaters. Dazu kommt, dass sein linkes Auge blind ist; aber wenn er zur Seite
blinzelt, erkennt er mit dem rechten Auge, dass sich die Naht am Stiefel seines
Vaters auflöst. Der Zwirn hat sich vom Leder gelöst, und ein harter Knoten
darin hat seine Augenbraue erwischt, die dadurch aufgeplatzt ist.
    »Und jetzt steh auf!« Walter
brüllt ihn von oben herab an und überlegt sich, wohin er als Nächstes treten
kann. Er hebt den Kopf einen oder zwei Zoll und kriecht vorwärts, auf dem
Bauch, wobei er versucht, seine Hände vor Walter zu verbergen, der mit Vorliebe
auf sie tritt. »Was bist du, ein Aal?«, fragt sein Erzeuger. Er geht einen
Schritt zurück, nimmt Anlauf und verpasst ihm noch einen Tritt.
    Der presst den letzten Atemzug
aus ihm heraus; er glaubt, dass es sein letzter sein könnte. Seine Stirn sinkt
auf den Boden zurück; er liegt da und wartet darauf, dass Walter auf ihn
springt. Aus einem Nebengebäude heraus bellt der Hund - Bella. Ich werde
meinen Hund vermissen, denkt er. Der Hof stinkt nach Bier und Blut. Unten am
Flussufer schreit jemand. Nichts tut ihm weh, oder vielleicht tut ihm alles
weh, denn es gibt keinen einzelnen Schmerz, den er genau benennen kann.
     
    Aber die Kälte schlägt zu,
bloß an einer einzigen Stelle: bloß an seinem Jochbein, das auf den Kopfsteinen
ruht.
    »Jetzt guck mal, guck mal«,
brüllt Walter. Er hüpft auf einem Fuß herum, als würde er tanzen. »Guck mal,
was passiert ist. Mein Stiefel ist aufgeplatzt, als ich dir gegen den Kopf
getreten habe.«
    Zoll um Zoll. Zoll um Zoll
vorwärts. Soll er dich doch Aal oder Wurm oder Schlange nennen. Kopf nach
unten, provozier ihn nicht. Seine Nase ist mit Blut verstopft, und er muss
durch den Mund atmen. Die kurze Ablenkung seines Vaters, der über den Verlust
seines guten Stiefels wütet, verschafft ihm eine Atempause, in der er sich
erbrechen kann. »So ist es richtig«, ruft Walter. »Spuck nur überall hin.«
Spuck überall hin, auf meine guten Kopfsteine. »Komm schon, Junge, steh auf. Lass
sehen, wie du aufstehst. Beim Blut des kriechenden Jesus, komm auf die Füße.«
    Kriechender Jesus?, denkt er.
Was meint er damit? Sein Kopf neigt sich zur Seite, sein Haar liegt in seinem
eigenen Erbrochenen, der Hund bellt, Walter brüllt, und Glockenläuten schallt
über das Wasser. Er spürt eine leichte Bewegung, als sei der schmutzige Boden
zur Themse geworden. Es schwankt unter ihm; er atmet aus, ein schweres letztes
Keuchen. Jetzt hast du es endlich geschafft, sagt eine Stimme zu Walter. Aber
er schließt die Ohren, oder Gott schließt sie für ihn. Eine tiefe schwarze
Strömung zieht ihn flussabwärts.
     
    Das Nächste, was er weiß: Es
ist beinahe Mittag und er lehnt in der Tür des Pegasus the Flying Horse. Seine Schwester Kat kommt mit
einem Brett voller warmer Pasteten in der Hand aus der Küche. Als  sie ihn
sieht, lässt sie es beinahe fallen. Bestürzt öffnet sie den Mund. »Wie siehst
du denn aus?«
    »Kat, schrei nicht so, das tut
weh.«
    Sie schreit nach ihrem Mann:
»Morgan Williams!« Sie dreht sich um die eigene Achse, ihr Blick wandert wild
umher, das Gesicht gerötet von der Hitze des Ofens. »Nehmt mir das Tablett
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