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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Autoren: Catherine Banner
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Dachgarten aus betrachtete, wusste ich nicht, welcher es war.
    Ich erinnerte mich nun, dass ich früher immer die Aussicht von der Burg hatte sehen wollen. Es kam mir absurd vor, dass ich mich daran erinnerte; dass ich mir gewünscht hatte, eine Aussicht zu sehen. Wie oft hatte ich damals daran gedacht. Aber von hier aus konnte ich jetzt den höchsten Balkon erkennen, und ich entdeckte auch die Treppe, die zu ihm hoch führte. Ich ging rüber und stieg die Stufen hinauf.
    Als ich durch die Tür kam, stieß ich fast mit einem Mann zusammen, der einen Dolch in der Hand hielt. Der König.
    »Verzeihung«, sagte er, und in seinen Augen war so etwas wie Furcht. »Aber diese Treppe …«
    »Ich wollte mir die Aussicht ansehen«, erklärte ich. Es kümmerte mich kein bisschen, dass er ein König war. Er merkte es mir an.
    »Leonard North?«, fragte er. »Aldebarans Großne f fe?« Ich nickte. Er streckte mir die Hand entgegen. »Cassius. Ich habe mir schon lange gewünscht, dich kennen zu le r nen.«
    Ich nahm sie. »König Cassius«, sagte ich.
    Er lachte.
    Die letzten, entschlossenen Töne einer Violine schwe b ten zu uns hoch, zusammen mit vereinzeltem Applaus.
    »Du tanzt nicht?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich auch nicht. Ich stehe lieber hier oben und b e trachte die Sterne.«
    Ich nickte und trat an die Brüstung. Man kann von dort aus alles sehen – jeden einzelnen Ort, an dem ich in meinem Leben gewesen bin. Unter mir sind die Bau m wipfel eines ummauerten Dachgartens, darunter gehen die Türme in den Hof über, und darunter läuft der Bur g felsen in die Stadt aus. Ein Stück weiter wird die Stadt vom Fluss begrenzt.
    »Dies ist auf viele Kilometer der höchstgelegene Punkt«, sagte Cassius. »Die Sterne sind hier näher.«
    »Es heißt, dass die Sterne in England dieselben sein so l len.« Ich weiß nicht, warum ich das sagte – vielleicht dac h te ich gerade an seine Geschichte in diesem alten Buch.
    Er drehte sich zu mir und sah mich an. »Ja … Ja, es sind exakt dieselben.« Er ließ den Blick über die Stadt schweifen. »Ich habe es immer als eine Art Zeichen ges e hen. Aber vielleicht bin ich einfach nur ein unverbesse r licher Romantiker.«
    Ich zuckte als Antwort mit den Schultern. »Die Leute erwarten das von dir. Du weißt, wie dieses Land unter Luden war.«
    »Das weiß ich nicht. Das habe ich nie gewusst.« Er lächelte, obwohl er müde aussah. »Ich muss zugeben, dass ich das als Nachteil sehe.«
    Wir standen noch eine Weile schweigend an der Brü s tung, dann wandte er sich zum Gehen. »Glaubst du, dass sie mich vermissen werden, wenn ich eine Zeitlang ve r schwinde? Ich bin gegen eins zurück.«
    Ich schüttelte den Kopf, ohne irgendetwas damit zu meinen. Dennoch drehte er sich um und war verschwu n den. Ich hörte, wie seine Schritte auf der Treppe verhal l ten, dann war es still.
    Einige Zeit später bist du gekommen und hast mit mir gesprochen. Ich dachte noch einmal daran, dir das Buch zu geben. Aber nachdem du gegangen warst, beschloss ich, dass ich es noch ein letztes Mal von Anfang bis Ende lesen würde. Also setzte ich mich neben die Lampe und fing an.
     
    Während ich hier auf dem höchsten Balkon stehe, wird mir klar, dass vieles von dem, was ich gesagt oder g e dacht habe, falsch war. Ich schlage das Buch zu. Ich werde es dir jetzt nicht zeigen – noch nicht. Es ist zu kompliziert. Und da sind ein paar Dinge, die gar nicht erklärt werden müssten. Ich habe dieses Buch für dich geschrieben, Aldebaran, aber ich schrieb es, als ob es für einen Fremden wäre. Als ich mir vorstellte, dass es für dich sein würde, brachte ich kein einziges Wort zu P a pier. Und ich habe Angst davor, es dir zu zeigen, weil du der einzige Verwandte bist, den wir noch haben, und ich will nicht, dass du schlecht über mich denkst. Ich hoffe, dass du das verstehen wirst, wenn du es eines Tages liest.
    Ich habe gesagt, dass Stirlings Leben wie ein Buch wäre – ein Buch, dessen Geschichte mittendrin abbricht. Aber vielleicht ist sie gar nicht abgebrochen. Vielleicht hat er nur die Seiten bi s z um nächsten Kapitel übe r sprungen. Das ist es, was ich heute denke. Denn wie könnte das das Ende sein? Selbst in dieser Welt ist er nicht vollkommen verschwunden.
    Das hier soll der Schluss werden, Aldebaran. Ich we r de alles in das Buch schreiben – alles, woran ich beim Lesen gedacht habe –, und eines Tages werde ich es dir geben. Wie würdest du meine Geschichte wohl sehen? Ist es eine mit
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