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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Autoren: Catherine Banner
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sie.
    Das Baby begann zu quengeln, und sie fragte leise: »Leo, kannst du ihn halten?«
    Ich nahm ihr das Baby ab. Es blinzelte mich an und streckte eine Hand aus. Ich fühlte mich benommen und müde, so wie jemand, der zu lange in einer Schlacht g e kämpft hat und sich hinlegen und ausruhen will. Aber ich nahm ihr das Baby ab, weil sie es so wollte.
    Ich habe kein Recht, dieses Baby zu halten, dachte ich die ganze Zeit über. Ich konnte es kaum ertragen. Aber Maria war in der Küche beschäftigt, deshalb konnte ich sie nicht rufen, und da war niemand sonst, der ihn ne h men könnte. Also bemühte ich mich, ihn nicht fallen zu lassen. Ist es das, warum man sein Leben wieder zusa m menflickt? Weil man am Ende keine andere Wahl hat?
     
    W enn ich aufsehe, kann ich über den Östlichen Be r gen das erste graue Licht des Morgens erkennen. Es ist ein gnadenloses Licht; es zerrt alles genüs s lich langsam aus der Dunkelheit – die noch schl a fende Stadt, jeden Stein der Burg, meine Hände auf dem Buch. Meine Geschichte ist jetzt fast zu Ende. Nach dieser Stelle gab es kaum noch etwas zu e r zählen.
    Maria hat mich in diesen ersten, verzweifelten Wochen gerettet. Großmutter wurde immer zerbrechlicher, und manchmal war sie sich für zwei volle Tage der Gege n wart nicht bewusst. Maria war die Einzige, die ihr helfen konnte. Oft saß ich mit dem schlafenden Baby im Arm da, während sie Großmutter in die reale Welt zurückredete. Und sie stand mir zur Seite, wen n i ch glaubte, dass ich fallen und im Nichts verschwinden würde. Ich war d a mals schrecklich verängstigt. Jedes Mal, wenn ich an Ahira dachte, überfiel mich dieses Zittern.
    Stirling und ich haben früher oft über Anna geredet, unsere englische Verwandte, deren Geschichte zu mir gekommen war. Ich weiß nicht, ob ich wirklich in den Bergen mit ihr gesprochen habe oder ob es wieder nur ein Traum war. Aber wenn sie nicht dort gewesen wäre, hätte ich die Sache durchgezogen und den Abzug g e drückt. Ich denke, dass es richtig war zurückzugehen. Ich habe so vieles falsch gemacht, aber ich glaube inzw i schen, dass es nur ein weiterer Fehler gewesen wäre, mich selbst zu töten. Er hätte die anderen nicht ausg e löscht. Vermutlich hätte er noch nicht mal den Schmerz weggenommen.
    Lange Zeit später träumte ich dann noch einmal von Anna. Ich konnte sie in der englischen Stadt sehen. Licht fiel über ihr Gesicht, dann Dunkelheit. Sie war auf dem Weg irgendwohin. Das war das letzte Mal, dass ich an England dachte. Ich habe sie hier aufgeschrieben, diese letzten Dinge, die ich sah.

 
    A nna spielte mit dem Edelstein an ihrer Halskette, während der Bus sich langsam durch die Straßen quälte. Vom Fenster aus konnte sie den Abendstern e r kennen, und sie fragte sich, ob Ryan ihn auch sah. Dann drängte sie den Gedanke beiseite, und schloss die Augen.
    Nicht lange danach hielt der Bus am Rand des Spor t platzes. Sie stieg langsam aus.
    »Anna«, rief jemand aus der Dunkelheit. Es war die Stimme eines Jungen. Sie drehte sich um.
    »Bradley«, sagte sie. »Du hast mich erschreckt.«
    Grinsend kam er auf sie zu. Er gehörte zu den Freu n den, an deren Namen sich Ryan, in weiter Ferne, bereits nur noch mit Mühe erinnern konnte. »Ich hab den Bus gesehen und bin runtergekommen. Ich wollte mit dir r e den. Ich hab dich in den letzten paar Wochen kaum zu Gesicht bekommen.«
    »Es ist diese neue Schule. Ich komme spät nach Ha u se.«
    »Ich wohne nur ein Stockwerk über dir. Und ich habe dich vermisst – das haben wir alle.«
    Sie hakte sich bei ihm unter. Bradley zündete sich eine Zigarette an, und gemeinsam gingen sie wieder auf das Gebäude zu.
    »Was für eine Uniform«, sagte Bradley. »Diese Schule muss eine ganz schöne Veränderung für dich sein. Wie gefällt es dir dort?«
    »Manchmal fällt es mir schwer zu glauben, dass ich tatsächlich dort bin. Wir tanzen jeden Tag vier Stunden, und du solltest die Trainingsräume sehen. Und es gibt dort neun Tanzlehrer! Aber …«
    »Aber was?« Bradley sah sie aufmerksam an. Anna zuckte seufzend die Achseln. »Das ist es, worüber ich mit dir reden wollte, Anna. Du wirkst verstört. Du wirkst verändert. Schon als wir fünf waren, hast du von nichts anderem gesprochen, als dass du eines Tages auf die Tanzakademie gehen willst. Und jetzt – ich weiß nicht – du benimmst dich seltsam.«
    »Ich benehme mich nicht seltsam«, behauptete Anna ohne große Überzeugungskraft.
    »Ist es wegen dieses Jungen, dieses
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