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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang
Autoren: Gitta von Cetto
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müssen. Ein großer Forscher, ein
großer Mann. Jeannettes großer Mann.
    Jeannette! Nicht daran denken,
redete er sich zu. Vorbei! Vorbei! Er hatte Margot geheiratet, damit das Kind
einen Namen bekam. Georgine hatten sie die Kleine getauft, nach ihrem Vater
Georg. Georgine Gutting, genannt Goggi.
    Ronald schloß die Augen. Warst
ein feiner Kerl, Georg. Weißt du noch, wie wir uns von unserem mageren
Studentenwechsel das kleine, schepperige Auto kauften? Mit dem wir dann gegen
einen Baum fuhren, du und ich und Margot? Dein Tod war nicht meine Schuld
gewesen, aber ich hatte am Steuer gesessen und schrieb mir die Verantwortung
zu. Und ich heiratete Margot, deine Margot, die ein Baby erwartete. Und ließ
meine Jeannette, die mich liebte, laufen. Und was kam heraus bei diesem
Freundschaftsdienst über den Tod hinaus? Goggi! Deine Tochter Goggi! Deine
Tochter, meine Tochter. Und jetzt läuft sie uns davon.
     
    Goggi ist also nun
einundzwanzig, dachte Gutting, während er für den feierlichen Anlaß des
heutigen Tages den Anzug wählte.
    Wozu hatte man dieses Mädchen
eigentlich durchs humanistische Gymnasium gepaukt? Um den Bruder Luftikus Nico
zu heiraten, Kinder zu kriegen und Suppe zu kochen, dazu hätte sie nicht Latein
und Griechisch lernen müssen. »Kostet meine Nerven und mein Geld. Ich werde sie
auf eine Weltreise schicken, damit sie sich den Kerl aus dem Kopf schlägt«,
sagte er vor sich hin.
    Fräulein Muhr erschien an der
halboffenen Tür und wünschte ihm einen guten Morgen. Sie tat das im gemessenen
Tonfall einer Krankenschwester, die mit einem unartigen Patienten spricht. Sie
war immer schwarz gekleidet, aber ihm schien, als sei sie heute schwärzer als
je zuvor. Er sammelte seine Sympathien für die Hausperle, die ihn seit fünfzehn
Jahren liebte, ihn betreute und schikanierte. »Wir kommen in zehn Minuten zum
Frühstück«, sagte er, »würden Sie dafür sorgen, daß die Kerzen brennen, alle
einundzwanzig? Und das Lebenslicht? Weiße Decke und so. Die Blumen, die ich
gestern für Goggi besorgt habe, stehen auf der Terrasse.«
    Fräulein Muhr betrachtete ihn
mit milder Nachsicht. Er spürte, daß seine rote Krawatte ihr Mißfallen erregte.
»Ihre Tochter ist weggegangen«, sagte sie unbewegt.
    »Weggegangen? Wieso? Sie wird
Jacky hinausgelassen haben.«
    »Nein, der Hund Hegt in
Fräulein Goggis Bett.«
    Sie faßte Ronald fest ins Auge.
Offenbar erwartete sie, daß er sich zu dieser abstoßenden Gewohnheit des Hundes
Jacky äußern sollte.
    »Sie kann nicht weit sein«,
meinte er mit einem flüchtigen Lächeln.
    »Sie hat aber den Wagen
genommen.«
    Plötzlich packte ihn Angst. Sie
kroch sehr rasch wie eine von unten aufsteigende Kälte an ihm empor und legte
einen eisigen Ring um sein Herz.
    Er sah sich allein in dem
neuen, wunderbaren Haus, das er für sich und für Goggi gebaut hatte, er sah
sich allein seine Ferienreisen planen, allein seine Abende totschlagen, allein
seinen Morgenkaffee trinken und sich mit den kleinen Plackereien des Alltags
herumärgern.
    Da war niemand mehr, der sich
mit ihm ärgerte und sich mit ihm freute, niemand, der ihm pfiffig zublinzelte
und sagte: Laß dir doch die ganze Welt den Buckel herunterrutschen. Die
gemeinsamen nächtlichen Streifzüge zum Kühlschrank würden aufhören, das Haus
ohne das Lachen und den Duft von Goggis Parfüm und ohne den Rhythmus ihrer
raschen Schritte! Allein mit Fräulein Muhr, allein mit der Zeit, die Jahr um
Jahr von seinem Leben wegnahm und ein Jahr um das andere seinem Alter
hinzufügte. Grauenhaft! Er würde ein gutmütiges, fleißiges, weißhaariges
Alterchen werden.
    »Finden Sie nicht, daß ich
zugenommen habe?« fragte er unvermittelt.
    »Du lieber Himmel, wovon denn?«
entgegnete Fräulein Muhr scharf. »Für Ihr Arbeitstempo essen Sie viel zu
wenig.«
    Sie würde mich am liebsten
heute schon wohlbeleibt, glatzköpfig und leicht asthmatisch sehen, überlegte
er. Ich bin ihr verdächtig, weil ich nach der Arbeit Tennis spiele, anstatt
mich aufs Ohr zu legen. Ich müßte etwas unternehmen, um mich bei ihr in ein
besseres Licht zu setzen, vielleicht Bier aus einem Humpen trinken und
Hosenträger tragen. Und viel mehr Sauerkraut essen. Ich muß mich gut mit ihr
stellen. Sie wird die Frau meines künftigen Lebens werden.
    Sein Blick schweifte durchs
Fenster. Die Buchen waren von der Morgensonne wie mit Goldstaub berieselt. Mit
Jeannette war er öfters durchs Mühltal geradelt. Das war noch, bevor er sich
dieses unglückselige kleine
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