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Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen

Titel: Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Autoren: Robin Hobb
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Herbst
1. Neue Rollen

    Das Schiff wurde von der Welle emporgetragen, und sein Bug stieg, als wollte er es in den windgepeitschten Himmel selbst hinaufziehen. Bei Sa, der Regen war fast stark genug, um ein Schiff zu ertränken. Einen Augenblick sah Althea nichts weiter als den grauen Himmel. Im nächsten ritten sie kopfüber auf dem Rücken einer Woge in ein tiefes Wellental hinab. Es schien, als müssten sie unabwendbar in die Wand aus Wasser stürzen, die vor ihnen aufstieg. Genau das taten sie auch. Der Aufprall ließ den Mast erbeben und mit ihm auch die Rahe, an der sich Althea festklammerte. Ihre tauben Finger glitten an dem nassen, kalten Segeltuch ab. Sie kreuzte ihre Füße um das Seil, auf dem sie sich abstützte, damit sie einen sicheren Stand hatte. Ein Beben ging durch das Schiff, als es die Woge hinter sich ließ, emporstieg und den nächsten Wellenberg erklomm.
    »Ath! Mach schnell!«
    Die Stimme kam von weiter unten. Auf der Webeleine der Wanten stand Reller und starrte mit zusammengekniffenen Augen durch den Wind und den Regen zu ihr hinauf. »Hast du Schwierigkeiten, Junge?«
    »Nein. Ich komme«, rief sie. Ihr war kalt, sie war nass und unglaublich müde. Die anderen Matrosen hatten ihre Arbeit längst beendet und flüchteten schnell die Wanten hinunter.
    Althea hatte einen Augenblick innegehalten, sich festgeklammert, wo sie war, und Kraft für den Abstieg gesammelt. Schon zu Beginn ihrer Wache hatte der Kapitän beim ersten Anzeichen des Sturms befohlen, die Segel zu reffen und festzuzurren. Zuerst traf sie der Regen, bald gefolgt von dem Wind, der anscheinend darauf erpicht war, sie aus der Takelage zu blasen. Sie hatten kaum ihre Arbeit beendet und waren wieder auf Deck, als der Befehl kam, die Toppsegel doppelt zu verknoten und alles andere ebenfalls aufzurollen. Wie als Antwort auf ihre Bemühungen wurde der Sturm schlimmer. Die Matrosen waren wie die Ameisen in den Wanten herumgekrabbelt, hatten die Segel gerefft, alles vertäut und festgezurrt, während Befehl auf Befehl auf sie herabhagelte. Schließlich hörte Althea auf zu denken und gehorchte nur noch wie ein Automat den gebrüllten Kommandos. Dabei vergaß sie allerdings nicht, warum sie da war. Ihre Hände schienen aus eigenem Antrieb das nasse Segeltuch zu packen, aufzurollen und zu sichern. Es war schon erstaunlich, was der Körper alles bewerkstelligen konnte, wenn der Verstand von Müdigkeit und Furcht beinahe wie gelähmt war. Ihre Hände und Füße funktionierten wie klug dressierte Tiere, die versuchten, sie trotz ihres eigenen Zweifels am Leben zu erhalten.
    Langsam stieg sie die Takelage hinab, wie immer die Letzte, die fertig geworden war. Die anderen waren an ihr vorbeigeklettert und vermutlich schon längst unter Deck. Dass Reller sich überhaupt die Mühe gemacht hatte zu fragen, ob sie in Schwierigkeiten steckte, wies ihn als erheblich rücksichtsvoller aus als den Rest der Mannschaft. Sie hatte keine Ahnung, warum der Mann ein Auge auf sie hatte, aber sie war deswegen sowohl dankbar als auch beschämt.
    Als sie neu an Bord gekommen war, hatte sie darauf gebrannt, sich auszuzeichnen. Sie hatte sich angetrieben, mehr, schneller und besser zu arbeiten. Es war ihr wundervoll vorgekommen, wieder auf dem Deck eines Schiffes zu stehen. Immer das gleiche Essen, das schlecht gelagert worden war, überfüllte, stinkende Quartiere, ja selbst die Grobheit der Leute, die sie ihre Schiffskameraden nennen musste, all das war ihr in den ersten Tagen auf Deck noch erträglich erschienen. Sie war wieder auf See, sie tat etwas, und am Ende dieser Reise würde sie ein Schiffsticket bekommen, das sie Kyle unter die Nase reiben konnte. Dem würde sie es schon zeigen. Sie hatte sich geschworen, ihr Schiff wiederzubekommen, und war entschlossen daran gegangen, so rasch wie möglich zu lernen, auf diesem neuen Schiff zu arbeiten.
    Aber trotz all ihrer Bemühungen auf der Reaper kam zu dem Manko ihrer mangelnden Erfahrung noch ihre geringere Körpergröße hinzu. Das hier war ein Schlachterschiff, kein Handelsschiff. Das Ziel des Kapitäns war nicht, so schnell wie möglich von einem Punkt zum anderen zu kommen und seine Waren abzuliefern. Statt dessen schlug er einen Zickzackkurs ein und suchte nach Beute. Auf dem Schiff drängte sich eine weit größere Mannschaft als auf einem Handelsschiff gleicher Größe. Denn zusätzlich zum Segeln mussten noch genügend Männer an Bord sein, die die Jagd, das Schlachten, das Fettauslassen und die
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